30-08-2019 · Einblick

Digitale Zwillinge und Maschinelles Sehen: Spannende Aspekte „smarter“ Produktion

Die traditionelle Industrieproduktion neigt sich dem Ende zu. Derzeit entstehen flexiblere und zunehmend digitale Produktionsweisen, die oft eine größere Nähe zu den Endmärkten aufweisen. Cybersysteme und physische Systeme werden miteinander verknüpft, was den Trend hin zu „smarter“ und nachhaltiger Produktion vorantreibt. Im Rahmen dieses Trends werden die Themen Maschinelles Sehen und „digitale Zwillinge“ immer wichtiger, sagt Marco van Lent, Portfoliomanager des Robeco Industrial Innovation Equities Fonds.

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  • Marco van Lent - Portfolio Manager

    Marco van Lent

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Digitale Produktion: Zentraler Trend der Vierten Industriellen Revolution

Die Treiber hinter der Entstehung von Industrie 4.0 sind Big Data, der Einsatz von Algorithmen zur Analyse der Daten und Fortschritte bei der Software- und Hardwareleistung. Zu den treibenden demographischen Faktoren gehört die Alterung des Erwerbstätigenpotentials in Ländern wie China, aber auch in vielen entwickelten Staaten.

Wie andere Trendfonds auch wählt der Robeco Global Industrial Innovation Equities langfristige Wachstumstrends aus, die aus demographischen, technologischen oder regulatorischen Veränderungen resultieren. Diese Strategie hat stark vom Trend zur „Digitalisierung der Produktion“ profitiert, indem sie in Unternehmen investiert hat, die fortschrittliche Produktionstechniken mit dem Industriellen Internet der Dinge (IIoT) kombinieren.

Bei der digitalen Produktion wird der Herstellungsprozess zu einem sich selbst anpassenden System mit kürzerem Forschung- und Entwicklungszyklus, höherer Qualität und niedrigeren Kosten. Beispielsweise hat Maserati eine 50%ige Verringerung des Zeitraums bis zur Marktreife durch Einsatz des Industriellen Internets der Dinge erreicht. Adidas erprobt zwei „Speed Factories“, die die lokale Fertigung mittels intelligenter Produktion und 3D-Druck näher an den lokalen Verbrauch rücken lassen. So hat sich die Zeit bis zur Marktreife eines Paars Sneakers drastisch von 12 bis 18 Monaten auf lediglich 30 Tage verkürzt.

Der globale Trend hin zur digitalen Produktion gewinnt rasch an Dynamik. Am schnellsten innerhalb des Trends wächst das Industrielle Internet der Dinge – ein Netzwerk aus Plattformen, miteinander verknüpften Geräten und Software. Die Gewinnmargen am Markt für Software für das Industrielle Internet der Dinge gehören zu den höchsten im Bereich der automatisierten Produktion.

EBIT margin by automation application

EBIT margin by automation application

Quelle: Credit Suisse

Maschinelles Sehen

Die Fähigkeit, visuelle Informationen in Echtzeit zu erfassen und zu verarbeiten, ist von entscheidender Bedeutung für die „smarte“ Produktion. Beim sogenannten Maschinellen Sehen werden Bilder an einen Computer übertragen und ein fast unmittelbares Feedback in den Prozess ermöglicht. „Ich persönlich finde Maschinelles Sehen hochinteressant. Es ermöglicht Maschinen die Verarbeitung visueller Informationen im Rahmen von Online-Tests und -Kontrollen. Dies lässt sich in allen Phasen der Produktion durchführen, also bereits sehr früh und nicht erst am Ende des Prozesses, wenn das Produkt vor der Fertigstellung steht", sagt Marco van Lent.

Maschinelles Sehen erfordert Beleuchtungselemente, Linsen, Bildsensoren und Bildverarbeitung. Beim Einsatz in Bereichen wie Automobil- und Pharmaindustrie, Druck und Nahrungsmittelproduktion kann Maschinelles Sehen mittlerweile nicht nur das Auge des Menschen ersetzen, sondern auch Informationen verarbeiten, die für das menschliche Auge unsichtbar sind. Nach Angaben von Credence Research wird der Markt für Maschinelles Sehen bis 2022 ein geschätztes Volumen von 15 Mrd. US-Dollar erreichen – derzeit sind es rund 9 Mrd. Dollar.

Marco van Lent - Portfolio Manager

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Die digitale Produktion befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium

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Digitale Zwillinge

Digitale Zwillinge sind virtuelle Abbilder physischer Produkte oder Prozesse, anhand derer ihre Leistung verstanden, vorhergesagt und optimiert werden kann. Dabei handelt es sich um eine weitere spannende Anwendung des Industriellen Internets der Dinge, die das Researchunternehmen Gartner auf seine Liste der zehn wichtigsten strategischen Technologietrends für das Jahr 2019 gesetzt hat.

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Quelle: Siemens eAircraft

„Digitale Zwillinge geben physische Produktionsprozesse online wieder, beispielsweise solche für Düsentriebwerke“, sagt Marco van Lent. „Man muss nicht sofort Testmodelle bauen, sondern kann diese auf dem Bildschirm konstruieren und testen. Nach Angaben von Rolls-Royce beispielsweise wurden vor der Einführung „digitaler Zwillinge“ typischerweise mehrere Testturbinen beschädigt oder zerstört. Mittlerweile produziert das Unternehmen ein Haupttriebwerk das in Tests gelaufen ist, ohne dass eines zerstört wurde“.

Man kann digitale Zwillinge aber auch im Betrieb verwenden. „So kann man während des Flugs Informationen über das Düsentriebwerk sammeln und diese in einen Computer am Boden einspeisen. Dieser kann Tests absolvieren, um herauszufinden, wie das Triebwerk beispielsweise auf eine energiesparende Lösung reagiert. Anschließend kann man die Daten an das Flugzeug zurückschicken und der Pilot kann die Triebwerkseinstellungen entsprechend anpassen“, erklärt Van Lent. Der globale Markt für digitale Zwillinge wird nach Angaben von MarketsAndMarkets bis 2025 von einem derzeitigen Volumen von 4 Mrd. US-Dollar auf 36 Mrd. Dollar steigen.

Phasen des Hype Cycles von Gartner

„In unserem Trends Investing-Team versuchen wir neue Trends frühzeitig zu erfassen. Damit sind natürlich Risiken verbunden, da Technologien nach einem anfänglichen Hype häufig nicht die unrealistisch hohen Erwartungen der Leute erfüllen“, sagt Marco van Lent. Dieses Phänomen wird vom sogenannten Hype Cycle von Gartner beschrieben. Häufig kommt es bei einer neuen Technologie zu einer Phase überzogener Erwartungen, auf die eine Welle von Enttäuschungen folgt, wobei die Zahl der involvierten Unternehmen sinkt. Doch haben solche Technologien erst einmal ihre Kinderkrankheiten überwunden, werden einige von ihnen Fuß fassen und sich im Zuge des „Anstiegs der Erkenntnis“ ausbreiten, bis sie das eher stabile „Plateau der Produktivität“ erreicht haben.

Die einzelnen Bausteine von Industrie 4.0 finden sich in unterschiedlichen Phasen dieses Hype Cycles. Die Technologie für Maschinelles Sehen befindet sich derzeitig auf dem Gipfel der Erwartung, während bei autonomen Fahrzeugen bereits die Phase der Enttäuschung erreicht worden ist. Unterdessen haben Industrieroboter die Plateauphase erreicht, wobei vier Hersteller weltweit führend sind.

Was Plattformen für das Industrielle Internet der Dinge angeht, die von derzeit rund 500 Unternehmen angeboten werden, haben diese gerade den Gipfel im Hype Cycle hinter sich gelassen. „Die Zahl der entsprechenden Anbieter wird zweifellos sinken, und es ist schwer zu ermitteln, wer letztlich der Gewinner sein wird“, sagt Marco van Lent. „Aus diesem Grund muss man in dieser Phase des Hype Cycles in einen Korb aus Unternehmen investieren.“

Wichtig ist dabei, dass es keine Unternehmen gibt, die ausschließlich diese Technologien anbieten. Sämtliche Unternehmen an diesem Markt entwickeln und vertreiben Plattformen für das Industrielle Internet der Dinge und andere Anwendungen neben ihrem bestehenden Geschäft. „Wenn sie sich zur Beendigung ihres Angebots entschließen, werden sie mit ihrem Brot-und-Butter-Geschäft fortfahren. Demnach werden die Unternehmen selbst also nicht verschwinden“, sagt Marco van Lent.

Zyklische Natur der Industrieautomatisierung

Die digitale Produktion bietet Anlegern zahlreiche Chancen, zudem befindet sich dieser Trend noch in einer frühen Phase. Nur eine Handvoll Branchen hat bereits nennenswerten Fortschritt entlang der Digitalisierungskurve erreicht. Gleichzeitig sind einige Bereiche wie Immobilien, Industriegüter oder Nahrungsmittel & Getränke am wenigsten digitalisiert.

Die Einbeziehung des realen Internets der Dinge in die Fabriken stellt einen Wachstumsmarkt dar, der aber zyklischer Natur ist, warnt Marco van Lent. „Das bedeutet, dass die Investitionsausgaben in Abhängigkeit von Makroentwicklungen abrupt fallen können, wie der derzeitige Handelskonflikt zwischen den USA und China zeigt“, sagt er. „Dies unterscheidet den Industriegütersektor sehr stark von der Nahrungsmittelbranche beispielsweise, wo es undenkbar ist, dass die Nachfrage über Nacht um 10 % einbricht“.