Konservative Anlagestrategien streben typischerweise langfristig über dem Markt liegende Renditen bei geringerem Abwärtsrisiko an, indem sie in negativen Marktphasen besser abschneiden und in aufwärtsgerichteten Märkten mit dem Trend allgemein Schritt halten. Das Konzept eines defensiven Ansatzes hat zweifellos seine Vorteile im Rahmen eines umfassenden Portfolios. Allerdings ist es wichtig zu prüfen, ob es sich auch in der Praxis bewährt.
In unserer kürzlich veröffentlichten wegweisenden Studie1 untersuchen wir die Wertentwicklung einer einfachen regelbasierten konservativen Strategie über einen Zeitraum von mehr als 150 Jahren (Januar 1866 bis Dezember 2021). Dazu nutzten wir eine neue Datenbank zu US-Aktien, die von Research-Experten von Robeco erstellt wurde.2 Dies ermöglichte uns ergänzende und einzigartige Einblicke, da der Zeitraum vor 1929 mehrere Zyklen von wirtschaftlichen Booms und Krisen, Kriegen und Deflationsphasen umfasst.
Für unsere Untersuchung entwickelten wir Low-Risk- oder defensive Strategien anhand eines Ansatzes, den wir als die „Conservative Formula“ bezeichnen. Sie basiert auf einer Reihe von Regeln:
Aus den 1000 größten Aktien wählen wir die 500 mit der geringsten Volatilität aus.
Aus dieser Gesamtheit wählen wir anschließend die 100 besten Titel in Bezug auf Nettodividendenrendite und Kursmomentum aus.
In dem daraus resultierenden Portfolio erfolgt ein quartalsweises Rebalancing.
Durch Berücksichtigung der Nettodividendenrendite und des Kursmomentum schaffen wir eine ausgewogenere defensive Strategie, die von mehreren Alpha-Quellen profitiert und einige der Fallstricke des Low-Volatility Investing meidet, zum Beispiel hohe Bewertungen und geringes Momentum. Dieser Ansatz dient uns auch als grobe Näherung für unsere Conservative Equities-Strategie.
Low-Risk-Aktien schlagen Titel mit hohem Risiko
Zunächst untersuchten wir, wie verschiedene Portfolios, die nach Volatilität sortiert waren, im Zeitraum vor 1929 und im gesamten Betrachtungszeitraum abgeschnitten haben. Neben der auf der Conservative Formula basierenden Strategie verwenden wir einen „traditionellen“ Low-Risk-Ansatz, indem wir den Querschnitt der Aktienrenditen sortiert nach der historischen Volatilität über 36 Monate auf zehn Portfolios verteilten. Konkret wies das Portfolio im untersten Dezil die Aktien mit der geringsten Volatilität auf, während das Portfolio im obersten Dezil die Titel mit der höchsten Volatilität enthielt.
Wie Grafik 1 zeigt, ist der Zusammenhang zwischen Risiko und Ertrag im Zeitraum von 1866-1928 negativ, denn Portfolios mit höherem Risiko schnitten schlechter ab als solche mit geringerem Risiko. Das bedeutet, dass das Eingehen zusätzlichen Risikos am Aktienmarkt nicht belohnt wurde. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch über den gesamten Betrachtungszeitraum. Allerdings steigen zunächst die Erträge mit dem Risiko, bevor sie mit zunehmender Volatilität wieder abwärts tendieren. Dies sagt uns allgemein, dass das Eingehen von mehr Risiko auf lange Sicht nicht zwangsläufig belohnt wird.
Grafik 1 | Portfolios sortiert nach Volatilität
Quelle: Robeco Quantitative Research. Wertentwicklung in US-Dollar vor Gebühren und Kosten.
Unterdessen erzielte das Portfolio, welches auf der Conservative Formula basiert, höhere risikobereinigte Renditen als die einfach sortierten Volatilitäts-Strategien. Dies war aufgrund der Einbeziehung zusätzlicher Renditefaktoren zu erwarten. Über beide Betrachtungszeiträume war der durchschnittliche annualisierter Ertrag um rund 2-3%-Punkte höher als im Fall der drei Portfolios mit der niedrigsten Volatilität. Dabei entsprach die Volatilität derjenigen der beiden Portfolios mit der zweit- bzw. drittniedrigsten Volatilität.
Grundsätzlich führt die Conservative Formula im Vergleich zu einem Portfolio mit möglichst geringer Volatilität zu einer defensiven Strategie mit hoher Rendite. Dies ist im Zusammenhang mit der langfristigen Erzielung stabilen Kapitalwachstums wichtig.
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Konservative Aktien schneiden besser ab als spekulative
Wir untersuchten außerdem, wie sich ein auf der Conservative Formula basierendes Portfolio in jedem Jahrzehnt (außer den 1860er Jahren, da die Datenreihe erst 1866 beginnt) im Vergleich zu einem (spekulativen) Portfolio entwickelt hat, welches das andere Ende des Spektrums repräsentiert, also aus Aktien mit hoher Volatilität und mit niedriger Nettodividendenrendite sowie geringem Kursmomentum besteht. Wie in Grafik 2 dargestellt, warfen konservative Aktien in jedem Jahrzehnt einen positiven annualisierten Ertrag ab. Spekulative Titel dagegen erzielten uneinheitlichere Ergebnisse. Außerdem schlugen konservative Aktien spekulative Titel über alle Zeiträume.
Grafik 2 | Annualisierter Ertrag konservativer und spekulativer Aktien pro Jahrzehnt
Quelle: Robeco Quantitative Research. Wertentwicklung in US-Dollar vor Gebühren und Kosten.
Gewinnen, indem man weniger verliert
Wie bereits erwähnt erzielen defensive Strategien ihre langfristige Outperformance typischerweise dadurch, dass sie in negativen Marktphasen das Kapital schützen und in erheblichem Umfang an aufwärtsgerichteten Märkten teilhaben. Das bedeutet, dass sie auf lange Sicht weniger verlieren. Wie in Grafik 3 dargestellt leisteten konservative Aktien in Bärenmarktphasen einen gewissen Schutz vor Verlusten und hielten über den gesamten Betrachtungszeitraum in Bullenmärkten mit. Im Unterschied dazu entwickelten sich spekulative Aktien in Bullenmärkten überdurchschnittlich. Allerdings kompensierte dies nicht ihre Verluste in Bärenmärkten.
Grafik 3 | Die Conservative Formula, spekulative Aktien und das Marktportfolio in Bullen-/Bärenmärkten
Quelle: Robeco Quantitative Research. Wertentwicklung in US-Dollar vor Gebühren und Kosten.
Dessen ungeachtet ist es wichtig festzuhalten, dass konservative Aktien zwar typischerweise die Verluste bei Ausverkäufen am Markt reduzieren, aber zeitweise auch in Bärenmärkten schlechter abschneiden. So liegt die Hit Ratio konservativer Aktien in Bärenmärkten über unseren Betrachtungszeitraum bei 87 %. Das bedeutet, dass sie in 13 % der Zeit in abwärts gerichteten Märkten unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielten. Dies war beispielsweise der Fall zu Beginn der Spanischen Grippe im Jahr 1917, außerdem während der Börsenpanik 1873 sowie in jüngerer Zeit in der Frühphase der Coronavirus-Pandemie im Jahr 2020.
Doch wie bereits erwähnt hat die konservative Strategie die Verluste in den meisten Bärenmärkten verringert. Ihre wahre Stärke zeigt sie auf lange Sicht, da dann die unerwarteten kurzfristigen Phasen der Underperformance in aufwärtsgerichteten Märkten ausgeglichen werden.
Robust während Rezessionen, Kriegen und Deflationsphasen
Unsere 155 Jahre umfassende Datenbasis ermöglichte uns auch, seltene Makroereignisse zu studieren. Beispielsweise gab es während der letzten 30 Jahre nur eine Handvoll Rezessionen, während sie im 19. Jahrhundert recht häufig waren. Desgleichen gab es in jüngerer Zeit nur wenige Phasen des Kriegs. Dagegen umfasste unser Betrachtungszeitraum sieben von den USA geführte Kriege – beginnend mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und endend mit dem Krieg im Irak. Auch Inflationsphasen waren damals häufiger als in den letzten 30 Jahren (den Zeitraum seit 2021 ausgenommen). Grafik 4 zeigt, dass konservative Aktien sich in Phasen der Rezession, Expansion, Frieden, Krieg, Deflation oder Inflation als robust erwiesen haben.
Grafik 4 | Die Conservative Formula und das Marktportfolio über den Zeitraum von 1866 bis 2021
Quelle: Robeco Quantitative Research. Wertentwicklung in US-Dollar vor Gebühren und Kosten.
Fazit
Aus unseren Ergebnissen leiten wir ab, das konservative Aktien mit geringem Risiko typischerweise stabile und hohe langfristige Erträge abwerfen, da sie „gewinnen, indem sie weniger verlieren“. Ihre Fähigkeit, Verluste in abwärts gerichteten Märkten zu begrenzen und in erheblichem Umfang an positiven Marktphasen teilzuhaben, ist die wesentliche Voraussetzung für langfristiges Kapitalwachstum.
Angesichts der Ergebnisse aus dem bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden langfristigen Betrachtungszeitraum halten wir es für sehr unwahrscheinlich, dass konservative Aktien kein hohes Alpha mehr erzielen können. Tatsächlich hat der Ansatz in unterschiedlichen Zeiträumen und Machtstrukturen funktioniert. Dies bedeutet unseres Erachtens, dass die Low-Risk-Anomalie unabhängig von einem spezifischen Regime oder Marktumfeld gegeben ist. Deshalb spricht aus unserer Sicht nach wie vor viel für eine langfristige strategische Allokation in konservativen Aktien.
Fußnoten
1 Siehe: G. Baltussen, B.P. van Vliet und P. van Vliet, „150+ years of conservative investing: winning by losing less“, Artikel von Robeco, Mai 2022.
2 Siehe: G. Baltussen, B.P. van Vliet und P. van Vliet, „The cross-section of stock returns before 1926 (and beyond)“, Arbeitspapier, November 2021.