Sie sind bekannt für Ihr Research zur Aktienrisikoprämie und deren Vorhersagbarkeit. Können Sie Ihre Ergebnisse und Ihre Ansichten zum Markttiming näher erläutern?
„In unserem Research-Papier1 kommen wir zu dem Ergebnis, dass es sehr schwierig ist, das Timing für die Aufteilung von Investments z. B. auf Aktien und Anleihen richtig hinzubekommen. Es ist schwierig herauszufinden, welche Anlageklassen sich im nächsten Monat, im nächsten Quartal oder im nächsten Jahr gut entwickeln werden. Wir sind gerade dabei, diese Studie zu aktualisieren2, und haben festgestellt, dass unsere Ergebnisse auch bei Verwendung neuer Variablen ihre Gültigkeit behalten. Im Wesentlichen kommen wir zu dem Schluss, dass Markttiming nicht funktioniert.“
„Einen Aspekt möchte ich aber hervorheben. Manche Leser fassen unser Papier dahingehend auf, dass Vorhersehbarkeit nicht funktioniert. Doch das ist ein größeres und umfassenderes Konzept, das in unserem Research nicht erschöpfend behandelt wird. In unserer Studie gehen wir beispielsweise nicht der Frage nach, wie Vorhersagbarkeit an den Renten-, Rohstoff- oder Aktienmärkten funktioniert, wenn es darum geht festzustellen, welche Wertpapiere eine bessere Performance erreichen könnten als andere. Ich glaube tatsächlich, dass es sehr viele vorhersagbare Veränderungen im Querschnitt der Renditen auf Anleihen, Rohstoffe oder Aktien gibt.“
Wie lässt sich Markttiming auf Faktoren anwenden?
„Mir ist bekannt, dass über dieses Thema diskutiert wird. Ich selbst habe kein Research zu diesem Thema durchgeführt, sodass ich Ihnen dazu schwerlich eine konkrete Einschätzung geben kann. Dennoch neige ich zu der Auffassung, dass es auch schwierig ist herauszufinden, ob z. B. Substanzwerte 2023 weiterhin so gut performen werden wie 2022 oder wieder zu kämpfen haben werden, wie in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre. Dasselbe gilt für Momentum und alle anderen Faktoren. Ich halte es also generell für schwierig, das richtige Timing zu finden.“
Wo sehen Sie hauptsächlich die Chancen für Factor Investing?
„Factor Investing ist im Aktienbereich ein ausgereiftes Konzept. Das heißt aber nicht, dass sich auf diesem Research-Gebiet nichts mehr tut. Daran wird weiter viel gearbeitet. Neue Faktoren werden noch dokumentiert, und vielleicht wird es eine Synthese ähnlicher Faktoren geben. In anderen Anlageklassen steht dieser Anlagestil allerdings noch am Anfang. Wir haben kein weit verbreitetes Verständnis von Faktoren bei Anleihen, und bei Rohstoffen und Währungen ist dies sicherlich noch weniger der Fall. Meiner Meinung nach sind dies die nächsten Bereiche, in die Factor Investing vorstoßen wird.“
Sie glauben also, dass Factor Investing bei Zinspapieren genauso weite Verbreitung find wird wie bei Aktien?
„Ja, davon bin ich überzeugt. Wissenschaftler und Praktiker betrachten bei Zinspapieren in der Regel mehrere Dimensionen wie z. B. die Art von Instrumenten (Staatsanleihen versus Unternehmensanleihen), das damit verbundene Risikoprofil (Investment-Grade- oder spekulative Papiere) und das entsprechende Laufzeitenprofil (kurz versus lang). Deshalb sind Zinspapiere meiner Meinung nach reif für Factor Investing.“
„Dass dies nicht schon früher geschehen ist, liegt wahrscheinlich daran, dass es zu den Rentenmärkten im Vergleich zu den Aktienmärkten weniger Daten gegeben hat, mit denen Wissenschaftler und Praktiker arbeiten konnten. Folglich konnten auch weniger Erkenntnisse gewonnen werden. Inzwischen gibt es aber eine zunehmende Zahl von wertvollen Datenbanken, wie z. B. TRACE. Wissenschaftler und Praktiker schenken Faktoren am Rentenmarkt daher allmählich mehr Aufmerksamkeit, und es gibt mehr Research dazu.“
Next-Generation Quant
Mit dem technologischen Fortschritt nehmen auch die Möglichkeiten für quantitative Investoren zu. Indem wir mehr Daten einbeziehen und fortgeschrittene Modellierungstechniken nutzen, können wir tiefere Einblicke gewinnen und bessere Entscheidungen treffen.
Wie denken Sie über den Vormarsch von maschinellem Lernen in der Literatur zum Thema Asset-Preisbildung?
„Grundsätzlich scheint maschinelles Lernen eine gute Sache zu sein. Neuronale Netze oder so genannte Random-Forest-Algorithmen sind beispielsweise in der Lage, Muster in Finanzdaten zu erkennen, die das menschliche Gehirn nicht erkennen kann. Diese Muster können dann als Signale verwendet werden, um zu entscheiden, welche Aktien man kaufen oder verkaufen sollte.“
„Ich bin aber kein großer Freund davon, bei Anlageentscheidungen blindlings einer Maschine zu vertrauen. Eine Maschine wird in den Daten Muster finden, weil das ihre Stärke ist. Sie wird Ihnen aber nicht sagen, warum das Signal für den Kauf oder Verkauf einer Aktie spricht. Das liegt einfach in der Natur nicht beaufsichtigten Lernens.“
„Maschinelles Lernen im wissenschaftlichen Research anzuwenden, ist meines Erachtens ein vielversprechenderer Weg. Techniken des maschinellen Lernens können zur Entwicklung von Faktoren eingesetzt werden, die den Querschnitt von Aktienrenditen besser erklären oder Anleger dem effizientesten Portfolio näherbringen können.“
„Aus Sicht des Praktikers kann maschinelles Lernen auch zur Analyse von Big Data und von verschiedenen Kategorien von Daten eingesetzt werden. Ein klischeehaftes Beispiel dafür sind Satellitenbilder von Parkplätzen zur Ermittlung der Besucherzahlen im Einzelhandel. In diesem Zusammenhang kann maschinelles Lernen in Verbindung mit Big Data zu besseren oder schnelleren Signalen führen. Aber auch hier bin ich der Meinung, dass es ein gewisses Maß an beaufsichtigtem Lernen geben muss.“
Anders als viele andere Researcher im Finanzwesen beschäftigen Sie sich auch mit ‚Reibungsverlusten‘ am Markt wie z. B. Transaktionskosten. Was können Anhänger von Factor Investing aus Ihrem Research lernen?
„Es gibt zwei Punkte, auf die ich hinweisen möchte. Der eine bezieht sich auf Research zu Handelsplätzen, woran ich gerade arbeite. Lange Zeit dachten Anleger nur daran, während der regulären Handelszeiten, also mehr oder weniger zwischen 09.30 Uhr und 16.00 Uhr, Wertpapiergeschäfte zu tätigen, Order zu stornieren und so weiter. Etwa in den letzten zehn Jahren sind aber auch Schlussauktionen zu einem wichtigen Handelsforum geworden.“
„Beispielsweise werden an der New Yorker Börse und an der Nasdaq um 16.00 Uhr Schlussauktionen abgehalten, die etwa 10 % des täglichen Handelsvolumens ausmachen. Dies ist bedeutend, zumal unsere laufende Studie ergeben hat, dass bei diesen Auktionen deutlich niedrigere Transaktionskosten anfallen. Deshalb empfehlen wir Anlegern, dies als zusätzliche Option bei der Ausarbeitung einer Handelsstrategie in Betracht zu ziehen.“
„Der zweite Punkt betrifft eine Studie, die auf der Arbeit anderer Researcher zur Berücksichtigung von Transaktionskosten bei der Portfolio-Optimierung aufbaut. Dieses Konzept wird schon seit den 1980er Jahren in der wissenschaftlichen Literatur erörtert. In aktuellen Research-Analysen geht es jetzt um neue Umsetzungsmethoden. Diversifizierung nach Faktoren ist ein Gebiet, das in dieser Hinsicht Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.“
„Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Ein Faktor könnte den Kauf von Apple-Aktien vorschlagen, während ein anderer Faktor vielleicht den Verkauf desselben Wertpapiers vorschlägt. Bei einer Multi-Faktor-Lösung könnten die entsprechenden Trades zur Minimierung der Transaktionskosten kombiniert werden. Diese Techniken können potenziell erhebliche Vorteile bringen und die Kapazität von Multi-Faktor-Strategien erhöhen. Tatsächlich gibt es inzwischen ein stärkeres Bewusstsein und mehr Research dazu, wie Techniken zur Minimierung von Transaktionskosten in den Portfolioaufbauprozess eingebunden werden können.“
Was begeistert Sie am Research derzeit am meisten?
„Im Wesentlichen befasse ich mich in meinem aktuellen Research mit zwei Hauptthemen. Beim ersten Thema geht es darum, wie Stiftungsfonds, Versorgungskassen usw. ihre Gelder anlegen. Beim zweiten Thema steht Factor Investing in verschiedenen Anlageklassen im Fokus.“
„Was das erste Thema angeht, brauchen wir meiner Ansicht nach ein besseres Verständnis, wie Asset-Eigentümer bei der Entscheidungsfindung vorgehen. Auch wenn der Ursprung der Asset-Allocation-Theorie bis in die 1970er Jahre zurückreicht, wissen wir meiner Meinung nach nicht genug darüber, wie Asset-Eigentümer ihr Kapital auf die verschiedenen Anlageklassen verteilen. Es gibt noch viele weitere Fragen, die nicht auf Aktien und Anleihen beschränkt sind, sondern auch andere Anlageklassen betreffen. Wir können zum Beispiel untersuchen, wie Asset-Eigentümer Private-Equity-Mandate vergeben.“
„Was den zweiten Punkt angeht, ist Factor Investing über alle Anlageklassen hinweg meiner Ansicht nach das nächste Eldorado. In der Branche spricht man dabei häufig von ‚alternativen Risikoprämien‘. Nach meiner Überzeugung ist auf diesem Gebiet noch viel Research-Arbeit zu leisten, und einige Wissenschaftler sind derzeit dabei, es zu erforschen. Vielleicht werden wir ja in den nächsten Jahren einige interessante Erkenntnisse in diesem Bereich gewinnen.“
Fußnoten
1 Goyal, A., und Welch, I.: „A comprehensive look at the empirical performance of equity premium prediction“; Review of Financial Studies, Juli 2008.
2 Goyal, A., Welch, I., und Zafirov, A.: „A comprehensive look at the empirical performance of equity premium prediction II“; Swiss Finance Institute Research Papers Series, September 2021.