09-08-2023 · Einblick

Indiens Wachstum schaltet in einen höheren Gang

Indische Aktien dürften davon profitieren, dass der Export und der Binnenkonsum gleichzeitig zunehmen, da langfristig angelegte Reformen, Digitalisierung und zunehmende Investitionen zusammenwirken und wirtschaftliche Teilhabe erweitern und Einkommen erhöhen.

    Autoren/Autorinnen

  • Joshua Crabb - Head of Asia-Pacific Equities

    Joshua Crabb

    Head of Asia-Pacific Equities

  • Helen Keung - Client Portfolio Manager

    Helen Keung

    Client Portfolio Manager

Indiens Wachstumspfad verschiebt sich auf ein neues, höheres Niveau, was Investments in indische Aktien ankurbeln dürfte. Es wird erwartet, dass sich Indiens Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2 Billionen USD im Jahr 2014 auf voraussichtlich 3,75 Billionen USD in diesem Jahr erhöhen wird. Der Subkontinent ist inzwischen die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und hat 2022 das Vereinigte Königreich überholt. Laut IWF wird Indien 2024 die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft sein mit einem prognostizierten BIP-Wachstum von 6,3 %, verglichen mit 4,5 % in China, 1,4 % in der Eurozone und 1,1 % in den USA.

Indiens Potenzial stand stets außer Frage. Doch von der Unabhängigkeit im Jahr 1947 bis Anfang der 2000er Jahre, als Technologiedienste und Pharmaprodukte zum Exportschlager wurden, entwickelte sich die relativ geschlossene und stark regulierte Wirtschaft des Landes unterdurchschnittlich.

Wirtschaftlicher Fortschritt treibt den Binnenkonsum und den Export an

Die Öffnung der Wirtschaft, Investitionen in die Produktionsinfrastruktur und Reformen zur Steigerung der Produktivität kommen nur langsam voran. Seit dem Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi im Jahr 2014 haben sich der wirtschaftliche Fortschritt und Reformen jedoch beschleunigt.

Abbildung 1: Indiens Tugendkreis

Abbildung 1: Indiens Tugendkreis

Quelle: Robeco.

Die laufenden Reformen, die umfangreiche Infrastrukturinvestitionen beinhalten, dürften Indiens Gesamtfaktorproduktivität und den BIP-Anteil des verarbeitenden Gewerbes erhöhen. Außerdem erlebt Indien eine rasante Digitalisierung, die Kredite und Finanzdienstleistungen einem größeren Teil der Bevölkerung zugänglich macht und so Indiens latent vorhandenen Unternehmergeist freisetzt.

Beiden Faktoren liegen Indiens günstige demografische Voraussetzungen zugrunde. Bis zum Jahr 2030 werden 77 % der über 1,5 Milliarden Inder der Generation der Millennials und der Generation Z angehören und damit Erwachsene im besten Erwerbsalter sein. Verbunden mit steigenden Einkommen kann diese demografische Struktur den Binnenkonsum in Indien deutlich steigern.

Demografie und Digitalisierung beflügeln das Konsumwachstum

In den nächsten zehn Jahren wird Indien voraussichtlich zu den Wachstumsmotoren der Welt gehören. Seine riesige und wachsende Erwerbsbevölkerung profitiert von steigenden Investitionen und rasanter Digitalisierung, die dem bevölkerungsreichsten Land der Welt zu zunehmender wirtschaftlicher Stärke verhelfen werden.

Laut einer vom Weltwirtschaftsforum zusammen mit Bain Consulting erstellten Studie wird sich der Binnenkonsum in Indien, der aktuell etwa 60 % des BIP ausmacht, bis 2030 voraussichtlich vervierfachen.1 Dieses Konsumwachstum wird gestützt durch eine junge (2030 wird das mittlere Alter in Indien 31 Jahre betragen), wachsende Bevölkerung, die eine rasche Verstädterung erleben wird. Eine weitere treibende Kraft sind steigende Haushaltseinkommen, die Indien von einer Wirtschaft am unteren Ende der Pyramide zu einer von der Mittelschicht angeführten Wirtschaft machen werden.

Nach Prognosen von Morgan Stanley wird sich die Mittelschicht mit einem Jahreseinkommen von 10.000 bis 35.000 USD bis 2031 verdoppeln und dann fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, so dass Hunderte Millionen Menschen zum ersten Mal bedeutendes verfügbares Einkommen haben werden.

Abbildung 2: Verteilung der jährlichen Haushaltseinkommen in Indien

Abbildung 2: Verteilung der jährlichen Haushaltseinkommen in Indien

Quelle: Morgan Stanley.

Unter den großen Schwellenländern ist Indien das am wenigsten verstädterte Land; denn nur etwa 35 % seiner Bevölkerung leben in Städten. Wir sehen in der Verstädterung einen starken Motor für Wirtschaftswachstum, robuste Investitionen und den Konsum in Indien. Dafür sind erhebliche Investitionen erforderlich, um Wohnungen und Verkehrsverbindungen zu bauen. Dieser Trend ist bereits in vollem Gange und wird getragen von stark zunehmenden Investitionen.

Nach Angaben der indischen Regierung wurden seit 2014 Autobahnen mit einer Gesamtlänge von 54.000 km gebaut, darunter so viel beachtete Projekte wie die neue Schnellstraße zwischen Delhi und Mumbai (die demnächst fertiggestellt wird). Indiens riesiges Schienennetz ist inzwischen zu 90 % elektrifiziert, und zwei Güterverkehrslinien entlang der West- und der Ostküste des Landes, die für mehr Geschwindigkeit sorgen und die Kosten für Kunden des Schienengüterverkehrs senken sollen, befinden sich im Bau. In diesem Jahr beläuft sich das Investitionsbudget der Regierung auf 122,3 Mrd. USD. Dies entspricht 3,3 % des BIP und ist damit doppelt so hoch wie im Durchschnitt des vorigen Jahrzehnts.

Die rasante Digitalisierung führt zu breiterer wirtschaftlicher Teilhabe

Nach Prognosen des Weltwirtschaftsforums werden bis zum Jahr 2030 etwa 1,1 Milliarden Inder Zugang zum Internet haben, und 90 % der über 15-jährigen werden online sein.
Daten von GSMA Intelligence zufolge gab es Anfang 2022 in Indien 1,14 Milliarden Mobilfunkanschlüsse, was etwa 70 % der Bevölkerung entspricht. Allerdings werden nicht für alle Anschlüsse Datentarife angeboten. In ländlichen Gegenden ist die Verbreitung geringer, aber die schon jetzt niedrigen Preise für die Datenübertragung machen eine rasche Ausweitung von Online-Zugängen möglich.

Diese sprungartige Zunahme von Konnektivität befeuert den Online-Handel, wobei der indische E-Commerce-Markt Schätzungen zufolge bis 2027 von 150 Mio. USD auf 170 Mrd. USD anwachsen wird. Das bedeutet eine jährliche Wachstumsrate von 25-30 % und eine Verdopplung der Marktdurchdringung auf 10 % in den nächsten fünf Jahren, wobei sich die Zahl der indischen Online-Käufer bis 2027 auf 400-450 Millionen erhöhen wird.2

Unserer Ansicht nach werden Konsummarken und organisierte Einzelhändler von dieser rasanten Entwicklung des indischen Einzelhandelssektors profitieren.

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Versorgung mit Finanzdienstleistungen kommt voran

Die Entstehung dieser jungen, durch Digitalisierung geprägten Wirtschaft hat tiefgreifende Auswirkungen auf Indiens Finanzsektor, und wir sehen darin eine weitere wichtige Entwicklung mit positiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, die auch langfristige Anlagemöglichkeiten eröffnet. Indien hat traditionell Vermögen in physischer Form wie z. B. Goldbarren aufbewahrt. Unserer Ansicht nach wird aber das zunehmende Angebot an FinTech-Anlageprodukten für Kleinanleger den Anteil von Aktienanlagen erhöhen.

FinTech-Start-ups werden wahrscheinlich der Schlüssel zur Bedienung dieses Marktes sein und neue Kreditquellen bereitstellen. Mit 57 % ist das Verhältnis von Krediten zum BIP in Indien etwa halb so hoch wie im Durchschnitt der G20-Länder, und die Verschuldung der Privathaushalte liegt bei ca. 35 % des BIP. Der IWF geht davon aus, dass steigende Einkommen und Ersparnisse in Indien die Kapitalmarktzinsen nach unten drücken und die Auswirkungen von leichterem Zugang zu Krediten verstärken dürften. Dies ist ein weiterer klarer struktureller Vorteil für Indien.

Das verarbeitende Gewerbe profitiert von „Friendshoring“ und einem staatlichen Programm zur Produktionsförderung

Die zunehmenden geopolitischen Spannungen in den letzten Jahren und steigende Löhne in China haben einige globale Unternehmen veranlasst, ihre Lieferketten zu diversifizieren und Produktionsanlagen im eigenen Land oder in anderen Ländern zu errichten, die sie für geeignet halten. Davon profitieren Länder wie Mexiko, Südkorea, Japan, Vietnam und Indien. Herausragendstes Beispiel ist der Technologieriese Apple, der 2020 auch wegen staatlicher Anreize mit der Herstellung von Smartphones durch Vertragspartner in Indien begonnen hat. Zurzeit lässt Apple 7 % seiner Smartphones in Indien herstellen, und dieser Prozentsatz dürfte Analysten und Quellen in der indischen Regierung zufolge steigen.3

Indiens Anteil am weltweiten Warenexport ist immer noch gering und wird von der Welthandelsorganisation für 2021 auf 1,8 % geschätzt, verglichen mit 15,1 % für China. Hier besteht also erhebliches Wachstumspotenzial.

Indiens Regierung hat deshalb das „Production-Linked Incentive“-Programm (PLI) eingeführt, mit dem die heimische Produktion in wichtigen Sektoren mit hoher Wertschöpfung wie erneuerbare Energien, Pharma, Elektronik, Automobilbau, Textilien und Telekommunikation gefördert werden soll. Dieses Programm unterstützt etablierte inländische Fertigungsbetriebe und auch globale Unternehmen, die sich in Indien niederlassen wollen. Im Wesentlichen bietet das PLI-Programm förderungsberechtigten Unternehmen an eine Steigerung der Produktionsleistung geknüpfte finanzielle Anreize. Es dient dem weiter gefassten Ziel der indischen Regierung, die Herstellung von Gütern im eigenen Land zu fördern, die Importabhängigkeit zu verringern und Indien als globales Fertigungszentrum zu positionieren.

Start-up-Boom

Indiens Anteil am weltweiten Export gewerblicher Dienstleistungen von 4 % spiegelt seine Vorreiterrolle bei der Schaffung der Technologie-Offshoring-Branche durch inländische Schwergewichte wie Infosys und TCS, aber auch durch ausländische Unternehmen wider, die zur Unterstützung ihrer weltweiten Geschäftstätigkeit „Globale Kompetenzzentren“ errichtet haben.

Diese in den südindischen Städten Bangalore und Hyderabad konzentrierte Branche hat eine blühende Start-up-Kultur hervorgebracht, und viele indische Technologieunternehmer lassen sich lieber in Indien nieder, als in die USA zu gehen. Nach Angaben der indischen Regierung gab es im Mai 2023 in Indien 108 Start-ups mit einem Marktwert von jeweils mindestens 1 Mrd. USD und einem Gesamtwert von 341 Mrd. USD.4 Der Start-up-Boom erstreckt sich auf nahezu alle Sektoren, darunter FinTech, Bildungstechnologie, E-Commerce, soziale Netzwerke, Lebensmitteltechnologie, Logistik und Lieferketten, Medien und Unterhaltung, Direktvertriebsmarken, Software als Dienstleistung und Gesundheitstechnologie.

Fazit: Die Wachstumstreiber wirken vereint

Indiens wirtschaftliche Fundamentaldaten haben sich in den letzten Jahren zwar zum Besseren gewendet. Unserer Meinung nach sind die Auswirkungen von Reformen, Infrastrukturinvestitionen und aktiver Industriepolitik wie dem PLI-Programm bisher aber kaum zu spüren. Die verschiedenen Antriebskräfte von Indiens Wirtschaftswachstum sind für das nächste Jahrzehnt gut aufgestellt und wirken vereint, um den langfristigen Wachstumspfad des Landes anzuheben, wovon letztlich auch dessen Aktienmarkt profitieren wird.