Ob Klimawandel, Umweltverschmutzung, soziale Ungleichheit oder institutionelle Diskriminierung – die Welt steht seit ein paar Jahren vor einer ganzen Kaskade an Herausforderungen. Im dem Maße, in dem ESG-Themen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind, werden sie auch von den Unternehmen genutzt, um das eigene Image aufzupolieren. Während einige Unternehmen ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um ESG-Risiken anzugehen und einen positiven Beitrag zur Lösung der ökologischen und sozialen Herausforderungen zu leisten, nutzen andere den Trend, um sich ein schönes Etikett aufzukleben, ohne tatsächlich etwas zu tun.
Vom Autobauer bis hin zum Assetmanager, von der gemütlichen Bar um die Ecke bis hin zur kapitalstarken Bank – zuletzt gerieten immer mehr Unternehmen wegen Greenwashing in die Kritik. Der Vorwurf lautet, dass sie ihr Image in Sachen Umweltschutz, LGBTQ+ oder UN-Nachhaltigkeitsziele künstlich aufpolieren – also Green-, Pink-, Rainbow- und Blue-Washing betreiben. Beispiele dafür sind Unternehmen, die sich in Hochglanzbroschüren damit rühmen, sich für die Menschenrechte stark zu machen, jedoch über Missstände in den eigenen Lieferketten galant hinwegsehen, oder Unternehmen, die sich den Umweltschutz groß auf die Fahnen schreiben, jedoch vehement eine Offenlegung von Klimadaten behindern; oder Unternehmen, die starke Übertreibungen nutzen, um nachhaltige Investoren zu gewinnen.
Aufgrund der Zunahme sozialer Ungleichheiten haben „Genderwashing“ und „Pinkwashing“ enormes Marketingpotenzial. So können Unternehmen ihre Reputation gründlich aufpolieren, indem sie sich damit rühmen, Geschlechtergleichheit, Diversität und Inklusion zu fördern – jedoch im eigenen Hause kaum etwas tun, um Fortschritte zu erzielen. So sorgte in diesem Jahr ein medienwirksamer Fall bei hunderten Gleichstellungsaktivisten für Unmut gegen die Vereinten Nationen. Grund dafür war die Partnerschaft der UN mit einem großen Vermögensverwalter, der in Sachen Gleichstellung der Geschlechter eine mehr als fragwürdige globale Bilanz aufweist1.
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Aufgrund der Zunahme sozialer Ungleichheiten haben „Genderwashing“ und „Pinkwashing“ enormes Marketingpotenzial
Es lohnt sich, sich für Geschlechtergleichheit starkzumachen
Ein Marketinghype ist sehr viel einfacher zu erzeugen, als tatsächliche Fortschritte zu erzielen. Doch auf lange Sicht werden Regierungen und Unternehmen, die sich gezielt dafür einsetzen, erheblich davon profitieren. So verzeichnen etwa Länder, die Reformen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter durchgeführt haben, den höchsten Anstieg bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen2. Mit Blick auf die Wirtschaft belegen Studien, dass Geschlechtervielfalt und -gleichstellung die Robustheit der Belegschaft stärken, zur Verringerung von Risiken beitragen und sowohl die Gewinne als auch den Shareholder Value steigern3.
Ebenfalls auf dem Vormarsch ist „Gender Lens-Investing“ (GLI), um Vielfalt und Gleichberechtigung in den Unternehmen zu fördern – auch wenn das in diesen Strategien verwaltete Vermögen mit einem Volumen von 12,3 Milliarden (Stand: 2. Quartal 2022) noch relativ gering ist. Doch das Assetvolumen verschleiert die enorme Bedeutung, die Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion für die meisten Verbraucher und Investoren haben. Einer Analyse von US-Verbraucherfinanzdaten aus dem Jahr 2020 zufolge entfallen heute knapp 11 Billionen US-Dollar (31 %) der gesamten privaten Vermögenswerte in den USA auf Frauen4. Eine andere Studie zeigt auf, dass Frauen im Jahr 2019 Waren und Dienstleistungen im Wert von 31 Billionen US-Dollar gekauft haben5.
Auch andere gesellschaftliche Randgruppen gewinnen zunehmend an wirtschaftlichem Einfluss. Jüngste Erhebungen in den USA zeigen, dass sich 5 bis 10 % der Bevölkerung mit LGBTQ+ identifizieren, was einer Kaufkraft von bis zu 5,3 Billionen US-Dollar entspricht. Die zunehmende Diversität der Bevölkerung wird das Kauf- und Investitionsverhalten der Verbraucher wesentlich verändern. Auch wenn es verlockend sein mag, sich damit zu rühmen, die sozialen Belange dieser Gruppen zu unterstützen, ist eine solche Strategie zum Scheitern verurteilt, wenn keine tatsächlichen Schritte gemacht werden.
Abbildung 1 Die soziale Demografie wird vielfältiger
Der Anteil der Erwachsenen, die sich in den USA als LGBTQ+ identifizieren, hat sich mit einem Anstieg von 2012 bis 2021 von 3,5 % auf 7,1 % mehr als verdoppelt. Quelle: Gallup, Credit Suisse
Harte Daten statt schöner Hype
Die RobecoSAM Global Gender Equality-Strategie investiert seit 2015 in Unternehmen, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abbauen und ein Umfeld schaffen, in dem sich alle Mitarbeiter wertgeschätzt fühlen. Gemeinsam mit führenden Unterstützern der Geschlechtergerechtigkeit in den Unternehmen haben wir eine empirisch fundierte Methode entwickelt, um jene Unternehmen zu identifizieren und in sie zu investieren, die bei der Förderung des Wohlbefindens und der Chancengleichheit für alle Beschäftigten nicht nur schöne Reden schwingen, sondern auch handeln.
Wir verwenden ein einzigartiges quantitatives Bewertungssystem, um hinter den Marketinghype zu blicken und jene Unternehmen zu identifizieren, die in Sachen Geschlechtergleichheit und Diversität führend sind. Sämtliche Unternehmen, in denen wir investiert sind, legen umfassende gender-spezifische Daten offen und erzielen bei den wichtigsten geschlechtsspezifischen Leistungskennzahlen hohe Bewertungen (z. B. Frauenanteil im Vorstand und in wichtigen Führungspositionen, gleiche Löhne für Männer und Frauen, „Haltepolitik“ (d. h. eine Politik, die Frauen nicht nur anzieht, sondern sie bei der Weiterentwicklung in jeder Phase der beruflichen Laufbahn unterstützt und an das Unternehmen bindet).
Um die Performance der Unternehmen in Bezug auf Vielfalt und Integration zu beurteilen, enthält unser Bewertungssystem Kennzahlen, die das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erfassen. Das Mosaik der untersuchten Kennzahlen ist von wesentlicher Bedeutung für die Bewertung eines Unternehmens, da in allen Bereichen um vielfältige, erfahrene Arbeitskräfte ein harter Konkurrenzkampf besteht – von der Einstiegsebene bis hin zu Führungspositionen.
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Wir verwenden ein einzigartiges quantitatives Bewertungssystem, um hinter den Marketinghype zu blicken und jene Unternehmen zu identifizieren, die in Sachen Geschlechtergleichheit und Diversität führend sind
Signale verstärken
Eine Aufpolierung des eigenen Images statt ernsthafter Förderung der Geschlechtervielfalt und -integration mindert das Wettbewerbspotenzial eines Unternehmens und birgt Risiken, beispielsweise infolge von Negativschlagzeilen in den Medien oder einem Boykott von Produkten. Damit ein Unternehmen seinem Ruf auch gerecht wird, verlangt die Robeco-Abstimmungspolitik ein Mindestmaß an Geschlechtervielfalt in den globalen Vorständen. In Nordamerika und Europa bedeutet dies einen Frauenanteil von 30 % im Aufsichtsrat. Doch die Einhaltung der Vorgaben auf dem Papier ist nicht alles. Wenn wir das Gefühl haben, dass der Vorstand die Erwartungen der Aktionäre in Bezug auf die DEI-Ziele nicht erfüllt, nutzen wir unser Stimmrecht, um die Unternehmensleitung nachdrücklich zu ermahnen.
Im Gegensatz zu vielen anderen größeren Assetmanagern, die sich den Anliegen der Aktionäre entziehen oder sie sogar behindern, hat Robeco bei geschlechtsspezifischen Vorschlägen und arbeitsrechtlichen Themen stets besser abgeschnitten. Im vergangenen Jahr haben wir 96 % der Anträge in sozialen Belangen unterstützt, die von ShareAction als wesentlich eingestuft wurden, verglichen mit 29 %, dem Durchschnitt der sechs größten Vermögensverwalter der Welt, die dafür stimmten6. Auch in diesem Jahr erfolgt unsere Abstimmung in Einklang mit unseren Überzeugungen. In der Hauptversammlungssaison 2022 unterstützte Robeco 75 % der Aktionärsanträge, die sich speziell auf soziale und diversitätsbezogene Themen bezogen.
Abbildung 2: Klima und Vielfalt gehören zu den wichtigsten Anliegen der Aktionäre
Mehrheit unterstützte die Aktionärsanträge in der Abstimmungssaison 2021. Die Aktionärsanträge zu den Themen Klima, Umwelt, Vielfalt am Arbeitsplatz, Gleichberechtigung und Integration nehmen zu. Hinweis: Die Berechnung der durchschnittlichen Unterstützung basiert auf den gemeldeten Abstimmungsergebnissen. Quelle: Morningstar Proxy Database, Stand: 30. Juli 2021.
Im Herbst 2022 werden wir ein D&I-Engagement starten, bei dem wir direkt mit Unternehmensleitern aus allen Regionen und Sektoren zusammenarbeiten, um ihnen dabei zu helfen, die Risiken und Vorteile von DEI zu verstehen, Talentmanagementstrategien zu entwickeln, detaillierte Datenmetriken zu erstellen und die Fortschritte bei diversitätsbezogenen Themen wie Lohngleichheit und Repräsentationsquoten öffentlich zu machen.
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Robeco hat bei geschlechtsspezifischen Vorschlägen und arbeitsrechtlichen Themen stets besser abgeschnitten
Werkzeuge nutzen, anstatt zu den Buntstiften greifen
Wir sind überzeugt, dass sich die Förderung von Gleichberechtigung und Vielfalt positiv auf das Vertrauen, das Engagement und Beitrag am Arbeitsplatz auswirkt. Anstatt uns auf schöne Worte zu verlassen, haben wir unser Investitionsinstrumentarium aufgestockt und unser Engagement intensiviert. Dadurch sind wir besser in der Lage, diejenigen Unternehmen zu identifizieren und auszuwählen, die sich durch ihre Investitionen in das Humankapital einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
1 Bloomberg, “UN women’s group ends partnership with BlackRock after criticism.” 26 August 2022. Association for Women’s Rights in Development (AWID), https://awid.org/news-and-analysis/feminists-demand-end-un-womens-partnership-blackrock-inc
2 World Bank, Women, Business and the Law Index, https://datatopics.worldbank.org/sdgatlas/goal-5-gender-equality/
3 “Gender Diversity improves ROE, lowers risk.” (2018). Bank of America/Merrill Lynch Research. Morgan Stanley Research, (2019). Credit Suisse 3000 Report (2021).
4 McKinsey & Co., “Women as the next wave of growth in US wealth management.” (2020).
5 CNBC, “Women are gaining power when it comes to money.” 3. May 2022
6 ShareAction. “Voting Matters: Are asset managers using their proxy votes for action on environmental and social issues?” (2021).