20-04-2021 · Einblick

China: der Weg hin zur CO₂-Neutralität

Chinas Vorhaben, bis 2060 CO2-neutral zu werden, hat viele Beobachter begeistert, aber auch perplex gemacht. Den weltgrößten Emittenten von CO2 innerhalb der nächsten 40 Jahre CO2-neutral zu machen, ist keine Kleinigkeit und wird weitreichende Konsequenzen haben. Doch die beträchtlichen Herausforderungen, die mit der Transformation verbunden sind, beinhalten auch zahlreiche Anlagechancen.

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  • Jie Lu - Head of Investments China

    Jie Lu

    Head of Investments China

China ist mit Abstand der größte CO2-Emittent der Welt. Aktuell entfallen auf das Land fast 30 % der globalen CO2-Emissionen (Quelle: International Energy Agency – IEA). Dem stehen 15 % in den USA und 9 % in der Europäischen Union gegenüber. 1 Um die Transformation zu unterstützen, werden kolossale Investitionen erforderlich sein. Dies gilt speziell für Bereiche wie Erneuerbare Energien, die Elektrifizierung des Transportsektors und die Stromerzeugung aus Kernenergie.

Grafik 1: Steigender Anteil Chinas an den globalen CO₂-Emissionen

Grafik 1: Steigender Anteil Chinas an den globalen CO₂-Emissionen

Source : AIE. Émissions de CO2 issues de la combustion de combustibles, en tonnes.

Die Geschwindigkeit, mit der die CO2-Emissionen im letzten Jahr wieder auf ihren Aufwärtstrend zurückgekehrt sind – trotz der Beeinträchtigungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie – veranschaulicht das Ausmaß der erforderlichen Disruption, um unsere Volkswirtschaften auch nur auf den erforderlichen Entwicklungspfad zu bringen. Zwar erscheinen die derzeitigen Trends bei den CO2-Emissionen nicht beruhigend, doch verdient die zuletzt veränderte Tonalität auf höchster Ebene Aufmerksamkeit.

Das Ziel von netto null CO2-Emissionen erfordert vereinte Anstrengungen in drei Richtungen. Erstens ist eine Veränderung in der Zusammensetzung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Chinas erforderlich – weg von CO2-intensiven Branchen wie Industrieproduktion und Bauwirtschaft hin zu weniger CO2-intensiven Sektoren wie Dienstleistungen. Tatsächlich hat China bereits vor mehr als einem Jahrzehnt begonnen, sich allmählich von industriellen Aktivitäten wegzubewegen.

Zweitens muss sich der Energiemix des Landes ändern – weg von Kohle und Öl hin zu Erneuerbaren Energien. Trotz beträchtlicher Investition in Bereichen wie Wasser- und Windkraft sowie Solarenergie in den letzten zehn Jahren ist Chinas Wirtschaft nach wie vor stark von fossilen Brennstoffen abhängig. Insbesondere stützt sich China extrem auf Kohle, die wohl problematischste Energiequelle im Hinblick auf die CO2-Emissionen.

Drittens werden auch CO2-Kompensationsmaßnahmen eine wichtige Rolle spielen. Selbst bei radikalsten Schritten kann eine vollständige Dekarbonisierung kaum ohne Maßnahmen zur CO2-Kompensation erreicht werden. Unter diesem Blickwinkel werden wahrscheinlich Technologien zur Abscheidung, Wiederverwendung und Speicherung von CO2 sowie das Pflanzen von Bäumen und Wiederaufforstungen unverzichtbare Bestandteile der Regierungsmaßnahmen sein.

Zwar erscheinen die derzeitigen Trends bei den CO₂-Emissionen nicht gerade beruhigend, doch verdient die zuletzt veränderte Tonalität auf höchster Ebene Aufmerksamkeit

Konsequenzen nach Sektoren

Rund 90 % der CO2-Emissionen Chinas stammen aus der Erzeugung von Strom und Wärme, der Industrie und dem Transportsektor. Dabei entfällt die Hälfte aller Emissionen auf die Strom- und Wärmeerzeugung. 2 Logischerweise werden diese drei Bereiche am meisten von der Transformation betroffen sein, vor allem die Erzeugung von Strom und Wärme.

Grafik 2: CO₂-Emissionen Chinas im Zeitverlauf

Grafik 2: CO₂-Emissionen Chinas im Zeitverlauf

Quelle: IEA. CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kraftstoffen (in Millionen Tonnen)

Doch gibt es auch wichtige Unterschiede in den einzelnen Sektoren. Beispielsweise haben die Emissionen in der Industrie bereits vor einem Jahrzehnt ihren Höchststand hinter sich gelassen. Bei den Emissionen aus der Erzeugung von Strom und Wärme sowie im Transportsektor ist das noch nicht der Fall. Doch gibt es Anzeichen dafür, dass es hier allmählich zur Wende kommt. Beispielsweise haben die Investitionen in die Stromerzeugung aus Kohle in den letzten Jahren stark nachgelassen.

Unterdessen wird der Übergang zu einem nachhaltigeren Transportsektor ebenfalls drastische Veränderungen sowie umfangreiche Investitionen erfordern. Dazu gehört eine stärkere Nutzung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, eine beschleunigte Verbreitung von Elektrofahrzeugen sowie weitere Effizienzsteigerungen bei konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.

Nutzung von Anlagechancen

Angesichts der Änderung, die in den meisten Sektoren zur Erreichung der CO2-Neutralität erforderlich sind, müssen Investoren vor allem die wesentlichen Risiken identifizieren, denen sie ausgesetzt sind, und die attraktivsten Anlagechancen ausfindig machen. Die wohl am stärksten exponierten Unternehmen sind Hersteller fossiler Brennstoffe, insbesondere die großen Ölkonzerne. Ihr Kerngeschäft steht fundamental im Gegensatz zur Dekarbonisierung.

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Unternehmen, die zur Transformation beitragen können, dürften vom Dekarbonisierungstrend profitieren


Doch auch viele andere Branchen könnten unter einer schlecht umgesetzten Transformation leiden. Dazu gehören die Petrochemie sowie die Stahl- und Zementherstellung. Umgekehrt dürften Unternehmen, die zur Transformation beitragen können, vom Dekarbonisierungstrend profitieren. In einigen Fällen sind die wahrscheinlichen Auswirkungen der Dekarbonisierung bereits gut bekannt. Doch in anderen lassen sich die Konsequenzen nur schwer vollständig erfassen.

Derzeit sehen wir Chancen in drei Hauptbereichen. Der Löwenanteil der Investitionen wird voraussichtlich weiterhin auf den Bereich Erneuerbare Energien entfallen. Zu den großen Gewinnern dürften jedoch auch Elektrofahrzeuge gehören. Nicht zuletzt werden die Modernisierung der Stromnetze sowie Technologien zur Energiespeicherung und die Wasserstoffindustrie wahrscheinlich einen erheblichen Anteil der Gesamtinvestitionen auf sich ziehen.

Jüngste Ankündigungen deuten darauf hin, dass in den nächsten zehn Jahren der Anteil umweltfreundlicher Energieerzeugung deutlich erhöht werden soll. Mittlerweile sollen nicht-fossile Energiequellen bis 2030 einen Anteil an der Primärenergie-Erzeugung von 25 % erreichen. Zuvor lag dieses Ziel bei 20 %.3 Angesichts der allmählichen Ausschöpfung des Potentials Wasserkraft und einem verlangsamten Ausbau im Bereich Kernenergie bedeutet dieses Ziel einen rapide beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarenergie.

Die chinesische Führung hat außerdem klargestellt, dass sie bei Fahrzeugen mit alternativen Antriebsformen (New Energy Vehicles – NEVs) führend bleiben will, und hat kürzlich einen entsprechenden Plan für die Industrie gebilligt. Demnach soll der Absatz von NEVs bis 2025 einen Anteil von 20 % des gesamten Neuwagenverkaufs erreichen, nachdem es im letzten Jahr lediglich 5,4 % waren.4 Dieses Ziel für das Jahr 2025 ist niedriger als das zuvor angegebene Ziel von 25 %, da es die schwierige Phase in den Jahren 2019 und 2020 berücksichtigt.

Grafik 3: China führend bei der Zahl der Ladepunkte für Elektroautos

Grafik 3: China führend bei der Zahl der Ladepunkte für Elektroautos

Quelle: IEA, „Global EV Outlook“, 2020

Da erneuerbare Energien die entscheidende Rolle bei der Transformation hin zur CO2-Neutralität spielen werden, werden schließlich auch zusätzliche Speichertechnologien benötigt, um dem Problem der Produktionsschwankungen von Wind- und Solarenergie im Tages- und Jahresverlauf gerecht zu werden und um alle Wirtschaftsbereiche zu dekarbonisieren – einschließlich der CO2-intensivsten wie der Stahl- und Zementproduktion.

Aus diesem Blickwinkel dürften zwei komplementäre Technologien – Batterien und Wasserstoff – eine zentrale Rolle spielen, da sie Strom in chemische Energie verwandeln können und umgekehrt. China ist mit rund 70 % der globalen Kapazität bereits weltweit führend bei der Batterieproduktion.5 Trotz des Rückschlags zu Beginn des Jahres 2020 hat sich die Produktion recht rasch erholt.

Unterdessen dürften sich auch die Entwicklungen im Bereich Wasserstoff in den nächsten Jahrzehnten beschleunigen. Nach Schätzungen der China Hydrogen Alliance, eines den Sektor repräsentierenden Verbands, könnte der Anteil von Wasserstoff am gesamten Energiemix Chinas bis 2050 an die 10 % erreichen, während er heute bei weniger als 1 % liegt.6

Fußnoten

1Quelle: IEA. Basierend auf den CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kraftstoffen im Jahr 2019.
2 Quelle: IEA. Basierend auf den CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kraftstoffen im Jahr 2019.
3 L. Myllyvirta, „Analysis: China’s new 2030 targets promise more low-carbon power than meets the eye”, Carbon Brief-Artikel, 15. Dezember 2020.
4 „C. Yu, High-quality growth of new energy vehicle sector prioritized”, Artikel in China Daily, 4. November 2020.
5 T. Gül, A. Fernandez Pales L. Paoli, „Batteries and hydrogen technology: keys for a clean energy future”, IEA, Mai 2020.
6 China Hydrogen Alliance, „White Paper on China Hydrogen and Fuel Cell Industry’, 2018.


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