Ihre berufliche Laufbahn haben Sie im traditionellen Finanzbereich gestartet. Was hat Ihr Interesse an nachhaltigen Geldanlagen und Finanzen geweckt?
„Das hat Anfang der 2000er Jahre begonnen. Damals war ich Professor für Finanzen an der Universität Maastricht in den Niederlanden. Zudem arbeitete ich seinerzeit als externer Berater für den niederländischen Pensionsfonds ABP und andere Investmentakteure. Zu den Themen, die immer wieder aufkamen, zählte die Frage, welches Potenzial die Anwendung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) bei Geldanlagen hat. Diese Frage hat mich und meine Kollegen in Maastricht veranlasst, die Auswirkungen von ESG auf Ebene der Portfolios zu untersuchen. Dabei haben wir festgestellt, dass sich die Risiko-Rendite-Merkmale eines nachhaltigen Portfolios nicht wirklich von denen eines konventionellen Portfolios unterscheiden.“1
Das war eine wichtige Erkenntnis. Denn damals glaubten die meisten Wissenschaftler und Anleger, dass die Einbeziehung von ESG zwangsläufig mit Einschränkungen für das Portfolio einhergeht, die das Anlageuniversum und letztlich das Renditepotenzial begrenzen. Unsere Erkenntnisse, die belegten, dass das Gegenteil der Fall ist, haben bei institutionellen Anlegern, Think Tanks, Regierungen und anderen Institutionen viel Aufmerksamkeit erregt, weshalb in den darauffolgenden Jahren viele Projekte und Kooperationen im Bereich nachhaltige Finanzen und Entwicklung ins Leben gerufen wurden.“
Woran arbeiten Sie gerade?
„Ich forsche weiterhin sowohl zu traditionellen als auch zu nachhaltigen Finanzthemen. Insbesondere untersuche ich, welche Auswirkungen nachhaltige Investitionen in der Praxis haben. Ich bin ein Wissenschaftler, der Theorie und Modelle hochschätzt. Aber ich bin auch praktisch veranlagt und möchte immer auch wissen, wie sich die Dinge im realen Leben entwickeln. Gerade konzentriere ich mich auf die Frage, wie bewusste Entscheidungen der Anleger das Handeln der Unternehmen beeinflussen und dazu beitragen können, Dinge wie CO₂-Emissionen und Klimawandel einzudämmen.“
„Zusammen mit anderen Kollegen habe ich die Unternehmen „Global Property Research“ (GPR) und „Finance Ideas“ gegründet, die sich beide auf angewandtes Research konzentrieren. Außerdem entstand als Ableger von Finance Ideas das unabhängige „Global Real Estate Engagement Network“ (GREEN). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss namhafter Vermögenseigentümer und Investmentmanager, darunter Robeco, um die Einbeziehung von ESG-Kriterien bei Immobilien- und Infrastrukturinvestitionen zu fördern. GREEN bietet ein Forum für Bauträger der ganzen Welt, um Daten über die Emissionen von Gebäuden auszutauschen und miteinander zu vergleichen und letztlich Empfehlungen zu unterstützen, wie die Gebäudeplanung oder -sanierung verbessert werden können.“
Wie beeinflusst und fördert Ihre aktuelle Forschung nachhaltiges Investieren?
„Eine der wichtigsten Fragen, die uns Forscher gerade beschäftigt, ist, ob all diese Nachhaltigkeitskriterien tatsächlich auch Auswirkungen auf die Portfolios oder die realen Ergebnisse haben. Messen wir etwas, das real ist, oder handelt es sich um Greenwashing? Eine interessante Sache, die ich beobachtet habe, ist, wie sich der Markt für nachhaltige Investitionen verändert hat, nachdem ESG und die EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR) ins Spiel kamen. Ich gehe derzeit der Frage nach, was es für die Marktteilnehmer eigentlich bedeutet, dass Anlageprodukte danach klassifiziert werden, in welchem Maße sie Nachhaltigkeit integrieren. Die Medien bewerten diese Klassifizierung mitunter negativ. Doch ich habe auf messbare Weise (z. B. anhand von Gebühren, Performance und Verhalten) festgestellt, dass die Anleger ESG positiv nutzen. Wir haben tatsächlich keine greifbaren Beweise für Greenwashing gefunden.“
„Was die Auswirkungen betrifft, so ist die entscheidende Frage, ob man diese angemessen erfassen und zugleich gute risikobereinigte Renditen erzielen kann. Ich glaube, dass die SDGs eine valide und zuverlässige Möglichkeit bieten, um die Frage nach dem Impact von Anlageportfolios zu beantworten. Ganz sicher ist dies der Fall bei Investitionen in physische Assets wie Gebäude oder Infrastrukturen, bei denen sich die Emissionen und Auswirkungen konkret messen lassen.“

Hat es Sie enttäuscht, keinen Performance-Unterschied zwischen konventionellen Portfolios und solchen, die ESG einbeziehen, zu finden?
„Nein, überhaupt nicht. Früher ging die Finanzwelt überwiegend davon aus, dass sich das Risiko-Ertrags-Verhältnis verschlechtert, wenn man die Wahlmöglichkeiten einschränkt. Alle glaubten, dass nicht nur die Auswahl und Diversifizierung, sondern auch die Renditen sinken, wenn ESG-Faktoren integriert werden. Doch wir haben festgestellt, dass sich die Risiko-Rendite-Ergebnisse im Vergleich zu traditionellen Portfolios nicht wirklich verändern, wenn man die Anzahl der Aktien im Rahmen der ESG-Integration einschränkt.“
„Das ist gut. Denn daran wird deutlich, dass sich das für die Anleger entscheidende Risiko-Rendite-Profil eines Portfolios definitiv nicht verschlechtert, wenn ESG einbezogen wird. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich Produkte, die ESG integrieren, stärker auf die individuellen Wertvorstellungen, Prioritäten oder Überzeugungen des einzelnen Anlegers ausrichten lassen. Viele verstehen Markteffizienz dahingehend, dass die Märkte alles regeln werden. Aber das ist nicht der Fall. Als Anleger müssen Sie Ihre eigene These, Ihren eigenen Fokus und Ihre eigenen Ideale verfolgen. Das wird Ihnen der Markt nicht abnehmen.“
„Nachhaltiges Investieren führt außerdem Gesellschaft und Investoren wieder zusammen, die sich bislang in unterschiedlichen Sphären bewegt haben. Wenn Anleger in Unternehmen investieren wollen, die einen geringeren ökologischen Fußabdruck haben oder sich an den SDGs ausrichten, können sie das tun – ohne Einschränkungen hinsichtlich ihrer Rendite hinnehmen zu müssen.“
Versuchen die Vermögensverwalter nicht immer noch, durch ESG einen Alpha-Effekt zu erzielen – also die Benchmark zu übertreffen?
„Es ist sehr schwierig, auf lange Sicht mit gleichbleibenden Nachhaltigkeitsfaktoren kontinuierliches und dauerhaftes Alpha zu erzielen. Wenn Sie ein neues nachhaltiges Produkt einführen, können Sie vielleicht für kurze Zeit, vielleicht drei bis vier Jahre, ein gewisses Alpha erzielen. Denn tatsächlich gibt es Alpha aus Nachhaltigkeit. Da die Märkte hocheffizient sind, muss man aber sehr gut aufpassen. Das haben wir bereits Anfang der 2000er Jahren in unseren Untersuchungen festgestellt. Damals waren Governance-Merkmale schon stark in den Aktienkursen integriert, während die Faktoren Umwelt und Gesellschaft erst später folgten.“
„Die Daten werden laufend aktualisiert. Sie werden von den Marktteilnehmer genau beobachtet – und diese ziehen daraus schnell Schlussfolgerungen. An den Aktienmärkten erfolgt also eine laufende Einpreisung aller verfügbarer Informationen. Daher sollten nachhaltige Produkte neben der Alpha-Generierung auch andere Merkmale erfüllen, die für Anleger wichtig sind. Dazu zählt beispielsweise eine stärkere Ausrichtung auf Value-Aktien. Kurzum sollten nachhaltige Produkte nicht alleine gekauft oder verkauft werden, um Alpha zu generieren.“
Wie schneiden Unternehmen und Länder in punkto Nachhaltigkeit ab?
Erfahren Sie, welchen Beitrag Unternehmen zu den Sustainable Development Goals leisten und wie die Länder bei den ESG-Kriterien abschneiden.
Die SFDR betont das Konzept der „doppelten Wesentlichkeit“ – also die Auswirkungen, die ein Unternehmen auf die Welt hat, und auf der anderen Seite die Auswirkungen, die die Welt auf das Unternehmen hat. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der SFDR auf die Investitionen?
„Ich sehe die Auswirkungen der SFDR positiv. Ich finde es großartig, dass Europa in dieser Frage frühzeitig die Initiative ergreift und eine Führungsrolle einnimmt. Die SFDR rückt gesellschaftliche und ökologische Ziele in den Fokus der Anleger. Sicherlich könnte man argumentieren, dass die Richtlinie eine Menge Bürokratie schafft – aber sie schafft auch einen Wettbewerbsvorteil. Ich glaube daher, dass die Richtlinie Anleger veranlasst, ihr Portfolio zu überprüfen und neu auszurichten.“
„Ich kann heute schon feststellen, dass die Richtlinie positive Veränderungen in Gang setzt. Ich sitze in vielen Investorenbeiräten, wo diesem Thema noch vor zwei Jahren keinerlei Beachtung geschenkt wurde. Doch jetzt tauchen alle tief in die Materie ein. Sie überdenken ihr Handeln und fragen ihre Mitglieder und Interessengruppen nach ihren Präferenzen.“
Führungskräfte, Regierungsvertreter, Investoren und sogar prominente Persönlichkeiten – alle sprechen über die SDGs. Wie erklären Sie sich diese Beliebtheit?
„Es hatten alle nach einer gemeinsamen Sprache gesucht. Und die SDGs haben sie geliefert. Der Klimawandel macht klar, dass wir die negativen Auswirkungen unserer Wirtschaft nicht länger leugnen können. Unternehmen, Regierungen und Investoren müssen sich diesen realen Problemen stellen. Denn sie werden nicht mehr verschwinden. Mit den SDGs hat man 17 Ziele formuliert, die große nachhaltige Herausforderungen aufgreifen und priorisieren. Diese Herausforderungen, darunter der Klimawandel, stellen ein wesentliches Risiko für die globale Wirtschaft dar.“
„Die SDGs haben zudem den großen Vorteil, dass sie von Anfang an standardisiert waren und in Bezug auf die angestrebten Ziele und die Kennzahlen zur Messung der Fortschritte relativ einfach zu handhaben sind. Das hat dazu beigetragen, dass die SDGs von den Unternehmen, Anlegern und einer breiten Gemeinschaft von Stakeholdern genutzt werden, um ihren Impact zu messen, zu steuern und offenzulegen.“
„Die Idee und die Dynamik, die hinter der Berücksichtigung der Auswirkungen auf die reale Welt bei Geldanlagen stehen, haben sich schon seit langer Zeit entwickelt. Nur waren sie nicht sichtbar. Die aktuelle Entwicklung ist tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich die Arbeit von mehr als zwei Jahrzehnten – geleistet von Wissenschaftlern, der Anlegergemeinschaft und anderen Interessengruppen. Außerdem ist der Klimawandel wesentliche Triebkraft des Umbruchs. Denn er hat sich inzwischen zu einer unaufhaltsamen globalen Krise entwickelt, der sich Unternehmen, Regierungen, Verbraucher und Anleger stellen müssen. Dies wiederum hat uns veranlasst, uns verstärkt mit der Frage zu befassen, was die nächste große Nachhaltigkeits-Herausforderung mit globaler Tragweite sein könnte.“
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Sind die Daten und Angaben der Unternehmen in Bezug auf die SDGs ausreichend, um die Auswirkungen zu messen?
„Es gibt viele Unternehmen, die ganz bewusst bestimmte Entscheidungen über ihre Auswirkungen treffen. Ein Paradebeispiel dafür ist Unilever. Das Unternehmen konzentriert sich dabei vor allem darauf, einen gemeinsamen Wert („Shared Value“) für alle Beteiligten zu schaffen. Sie haben sich genau angeschaut, was sie produzieren und wo ihre Produkte klare Vorteile, aber auch negative Auswirkungen in der gesamten Lieferkette haben. Sie haben sich überlegt, was sie aus dem Prozess herausnehmen können und welche Schritte dafür erforderlich sind. Diese Art der „Schaffung eines gemeinsamen Werts“ und die dadurch gewonnenen Wettbewerbsvorteile werden für Unternehmen, die von Wirtschaftswissenschaftlern wie Porter und Kramer aus Harvard hervorgehoben werden, immer wichtiger.2 Das Konzept ist eine gänzlich neue Sichtweise auf das eigene Unternehmen. Und es gibt viele Unternehmen, die diese neue Sichtweise tatsächlich einnehmen.“
„Die Entwicklung steht noch am Anfang – und wir erleben auch Rückschläge. In den USA argumentieren viele, dass ein Unternehmen vor allem Gewinne für die Aktionäre erzielen muss. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Schaffung eines gemeinsamen Wertes Teil der Mission eines Unternehmens sein sollte, und so wird die Impact-Messung sicher fortgeführt werden.“
Wie unterscheidet sich die SDG-Messung von der ESG-Integration? Was misst das eine, was das andere nicht tut?
„Was ich an den SDGs besonders schätze, ist, dass sie standardisiert und zukunftsorientiert sind und dass sie sich konkret auf bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen konzentrieren. Hingegen ist ESG tendenziell nicht standardisiert, rückwärtsgewandt und viel zu unscharf und qualitativ. Um ehrlich zu sein, würde ich als Wissenschaftler sagen, dass die Sache noch nicht entschieden ist. Die SDGs haben aber den klaren Vorteil, dass sie standardisiert sind und einen weltweit akzeptierten Rahmen bieten. Sie werden von den Finanzakteuren ebenso akzeptiert wie von der realen Welt, was unter anderem daran liegt, dass einfache Metriken verwendet werden, die in einer verständlichen Sprache formuliert sind. Das wissen die Unternehmen zu schätzen.“
Können die SDGs genutzt werden, um Alpha zu generieren? Und können die Anleger dies erwarten?
„Wie es bei allen Innovationen der Fall ist, besteht auch bei den SDGs die Möglichkeit, Alpha zu generieren. Aber das sollte für kein Produkt das Hauptverkaufsargument sein. Die Vermögensverwalter sollten immer daran denken, womit sie es zu tun haben – mit einem hocheffizienten und anpassungsfähigen Anlegermarkt. Etwaige Kurseffekte von SDG-Daten können sich sehr schnell wieder abschwächen, da die meisten Anleger in die gleiche Richtung gehen. Ich glaube, es ist viel wichtiger, sich auf die Value-Ausrichtung und die Impact-Ziele zu konzentrieren. Die Finanzwelt hat die gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Unternehmen zu lange vernachlässigt. Die SDGs geben ihnen ein Instrument an die Hand, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen.“
Haben die Unternehmen nicht großen Spielraum, um die SDGs zu missbrauchen und nur das offenzulegen, was sie auch offenlegen wollen?
„Sicherlich werden das einige tun. Doch sollte uns das nicht davon abhalten, weiterhin die Auswirkungen zu messen und uns dafür einzusetzen, dass die Unternehmen ihren Impact offenlegen. Dabei gilt es, langfristig zu denken und sich klarzumachen, dass dies die Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellt, die erst seit drei bis fünf Jahren zunehmend in den Vordergrund treten. Zwar ist die Forschung schon länger dabei, die Auswirkungen zu untersuchen. Doch die Unternehmen selbst standen nicht wirklich unter Druck, etwas zu messen, zu überwachen und offenzulegen.“
„Aber das hat sich verändert. Die Unternehmen haben erkannt, welchen Stellenwert die SDGs bei ihren Kunden, Lieferanten, Investoren und Regulierungsbehörden einnehmen. Sie werden also von allen Seiten beobachtet und wissen um die Notwendigkeit von Klarheit und Transparenz. Deshalb gefällt mir die Robeco-Intitiative „SI Open Access“. Denn sie macht die Unternehmensergebnisse öffentlich. Ich bin zuversichtlich, dass die Unternehmen mit der Zeit besser darin werden, ihre Ergebnisse zu messen und offenzulegen.“
Fußnoten
1 Bauer, Rob, Kees Koedijk, and Rogér Otten. 2005. “International Evidence on Ethical Mutual Fund Performance and Investment Style.” Journal of Banking and Finance 29 (7): 1751–1767. doi:10. 1016/j.jbankfin.2004.06.035.
2 Kramer, M. R., & Porter, M. (2011). Creating shared value. Harvard Business Review, 89(1/2), 62-77.