09-09-2024 · Monatsausblick

Elefant im Raum: Abweichende Zinsprognosen der Assetklassen

Die unterschiedlichen Erwartungen in den verschiedenen Assetklassen hinsichtlich der Zinsentwicklung ähneln dem buddhistischen Gleichnis über einen Elefanten, meint Multi-Asset-Investor Colin Graham.


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  • Colin Graham - Co-Head of Sustainable Multi Asset Solutions

    Colin Graham

    Co-Head of Sustainable Multi Asset Solutions

Die vier wichtigsten Assetklassen – Aktien, Staatsanleihen, Unternehmensanleihen (Credits) und Rohstoffe – gehen alle von unterschiedlichen Annahmen über die wahrscheinliche zukünftige Geldpolitik der Zentralbanken aus, sagt er. Sinkende Zinsen würden sich auf jede Assetklasse unterschiedlich auswirken. Daher kommt es darauf an, die richtigen Ergebnisse einzupreisen – aber welche deutet in die richtige Richtung?

„Der gesamte Markt ist datenabhängig geworden und versucht, eine Trendwende zu erkennen, welche die Zentralbanken veranlasst, die Zinsen zu senken oder dies schneller als erwartet zu tun“, sagt Graham, Head of Robeco Sustainable Multi-Asset Solutions. „Wenn wir uns innerhalb der Assetklassen umsehen, beobachtet man eine interne Konsistenz der Annahmen. Aber wenn wir einen Schritt zurückgehen, sehen wir, dass die Annahmen zwischen den Assetklassen hinweg inkonsistent sind.“

Die Parabel vom Elefanten

Seiner Meinung nach ähnelt die derzeitige Situation auf den Märkten einem alten buddhistischen Text, der Tittha Sutta. Darin wird die Geschichte von vier Männern mit verbundenen Augen erzählt, die gebeten werden, verschiedene Körperteile eines Elefanten, eines ihnen unbekannten Tieres, zu berühren. Wer zum Beispiel den Rüssel des Elefanten berührt, fühlt etwas anderes als jemand, der seine Ohren berührt.

„Jeder beschreibt, womit er konfrontiert wurde und dass er die 'Wahrheit' der anderen Männer über das, was sie gefühlt haben, nicht verstehen konnte“, sagt Graham. „Unnötig zu erwähnen, dass ihre Erfahrungen weder zur Entdeckung des Elefanten noch zu einem Verständnis dessen führten, was die anderen erlebten. Das können wir auch an den Finanzmärkten beobachten.

Dieses Phänomen lässt sich seiner Meinung nach an den beiden Assetklassen ablesen, die sich in diesem Jahr am besten entwickelt haben: Der Goldpreis unterstellt im Wesentlichen einen wirtschaftlichen Abschwung, während die Teilnehmer an den Aktienmärkten immer noch mit einem Aufschwung rechnen.

Gold vs. Aktien

„Gold hat sich in diesem Jahr trotz starker US-Konjunktur und höherer Realzinsen (Bankzinsen abzüglich Inflation) besser entwickelt als Aktien, sodass es jetzt eher als Risikoanlage denn als Wertaufbewahrungsmittel angesehen wird“, sagt Graham. „Die Goldnachfrage aus China ist gestiegen, da die Besorgnis über den heimischen Bankensektor und die fallenden Immobilienpreise einheimische Anleger dazu veranlasst haben, einen sicheren Hafen zu suchen.“

„Die Aktienkurse werden durch den KI-Boom angetrieben, und die Analysten erwarten, dass die Unternehmen die Erwartungen an das Gewinnwachstum weiterhin übertreffen, um die Bewertungen rechtfertigen zu können. Bislang haben jedoch nur Finanztitel außerhalb des IT-Sektors die Erwartungen erfüllt. Die Aktienkurse könnten also einen wirtschaftlichen Aufschwung einpreisen, insbesondere wenn der globale Zinssenkungszyklus an Fahrt gewinnt.“

„Dies wurde durch die Tatsache bestätigt, dass US-Small Caps innerhalb weniger Tage im Juli Large Caps um 10 % übertrafen – eine Art Gegenbewegung, die am Ende von Bärenmärkten zu beobachten ist.“ Aber steht ein Bärenmarkt bevor? Der US-Optionsmarkt unterstellt derzeit eine 37 %ige Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses bis Ende des Jahres.

Rückenwind für Anleihen

Unternehmens- und Staatsanleihen reagieren weitaus empfindlicher auf die Zinsentwicklung, da beide Assetklassen bei einem erneuten Zinsanstieg an Wert verlieren würden. „Credits und High-Yield-Anleihen haben sich angesichts der Zinserhöhungen und der Sorge, dass Unternehmen ihre Schulden zu höheren Zinsen refinanzieren müssen, als widerstandsfähig erwiesen“, so Graham.

„Es gab gewisse Bedenken, dass eine Abschwächung der Wirtschaft und der Erträge zu einem Anstieg der Ausfallraten führen könnte. Aber dann hat der Rückenwind in Form niedrigerer Zinsen durch den Kürzungszyklus die Aussichten verbessert. Dies steht im Einklang mit dem Kursaufschwung in zinssensiblen Aktienmarktsektoren wie REITs, Telekommunikation, Versorgern und US-Small Caps.“

„Globale Staatsanleihen haben sich in diesem Jahr bisher kaum besser entwickelt als die Geldmarktsätze, und ihre Renditekurven haben Zinssenkungen vorweggenommen. Dies führte zu einem Einbruch der Laufzeitprämie (der Betrag, den Anleger für das Ausleihen von Geld über einen längeren Zeitraum verlangen) und zu einer Renditekurve mit negativer Steigung.“

Rückkehr zur Normalität?

„Damit die Langfristzinsen in den USA über die Kurzfristzinsen steigen können, sind erhebliche Zinssenkungen von etwa zwei Prozentpunkten erforderlich. Dies bedeutet eine Rückkehr zu einem durchschnittlichen Realzinsniveau, einen durchschnittlichen Zinssenkungszyklus und eine Rückkehr der Geldpolitik zur Situation nach der globalen Finanzkrise.“

Nicht zuletzt hinken Rohstoffe (außer Gold) weiterhin den anderen Assetklassen hinterher. „Dies ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass die weltweite Misere im Verarbeitenden Gewerbe die anhaltend schwachen Aussichten bestätigt“, so Graham.

„Alles in allem scheinen die Bewertungen von Rohstoffen, Gold und Staatsanleihen auf eine ausgeprägte Konjunkturschwäche hinzudeuten, die eine Zinssenkung im Einklang mit den historischen Entwicklungen (einschließlich Rezessionen) ermöglichen würde. Dagegen sind bei Credits und Aktien die Aussichten auf eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit und der Erträge wesentlich günstiger.“

Der eigentliche Elefant im Raum

Was ist also richtig? „Normalerweise würden wir instinktiv darauf vertrauen, dass der Anleihemarkt recht hat. Ist das Signal der invertierten Renditekurve, das vor einer Rezession warnt, also hinfällig oder hat es sich nur noch nicht ausgewirkt? Insgesamt scheint der Konsens eher einen Mittelwert aus den extremen Ergebnissen darzustellen, als dass er – ähnlich wie die Personen in der Elefantengeschichte – eine assetklassenübergreifende Konsistenz widerspiegelt“, so Graham abschließend.

„Wenn wir einen Schritt zurücktreten, stellen wir fest, dass der eigentliche Elefant im Raum die Liquidität ist. Die Anhäufung quantitativer Lockerungen der Geldpolitik, ein Jahrzehnt extrem niedriger Zinsen und in jüngster Zeit höhere Staatsausgaben haben zur Folge, dass es zu viel Kapital gibt, das zu wenigen Assets hinterherjagt. Deshalb müssen keine Allokationsentscheidungen getroffen werden.“

Die US-Notenbank, die einen ausgeprägten Zinssenkungszyklus einleitet, wird diesen Elefanten ohne Vorliegen eines negativen wirtschaftlichen Ereignisses weiter füttern.


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