Tiefgreifende Veränderungen des weltweiten Handels
Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen haben zu deutlichen Veränderungen im weltweiten Handel geführt und signalisieren eine Abkehr von der Pax Americana nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Beziehungen zwischen den USA und China sind aufgrund ihres Wettbewerbs im technologischen und militärischen Bereich angespannt, wodurch der Handel teilweise beeinträchtigt wird. Schwellenländer wie Indien und Brasilien sind neutral geblieben und haben sich nicht auf eine der beiden Seiten geschlagen. Außerdem bleibt der Nahe Osten durch die anhaltenden Konflikte, in die Israel und zuletzt auch der Iran verwickelt sind, instabil, während Russland nach seinem Einmarsch in die Ukraine zunehmend isoliert wirkt. Diese Faktoren legen insgesamt einen Wandel im Zeitalter der Globalisierung nahe.
Die Dynamik zwischen den USA und China ist besonders wichtig, da sich diese beiden Nationen von ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu lösen scheinen. Diese Veränderung zeigt sich in der Einführung von Zollbarrieren, Verboten für bestimmte Waren und der weitgehenden Verlagerung der Produktion in die USA, die durch Regierungsinitiativen wie den „Infrastructure Investment and Jobs Act“, den „Chips Act“ und den „Inflation Reduction Act“ unterstützt wird. In China erschwert es die Regierung ausländischen Unternehmen immer mehr, bei ohnehin schon ungleichen Wettbewerbsbedingungen erfolgreich zu sein, da ihre langfristige Industriepolitik umfassende Subventionen für chinesische Unternehmen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Ausbildung, Anlagen, Erwerb ausländischer Vermögenswerte sowie einen bevorzugten Zugang zu Finanzmitteln und zum öffentlichen Beschaffungswesen vorsieht1. Da sich die Wirtschaftszentren USA und China allmählich immer mehr in unterschiedliche Richtungen entwickeln, ist die Verlagerung der Produktion in nahegelegene oder befreundete Länder die logische Reaktion, denn die Kombination aus Handelsbeschränkungen und Risiken in der Lieferkette schafft Anreize, näher am eigenen Land zu produzieren und zu beziehen.
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Das Wachstum des Welthandels hat sich verlangsamt
Europa befindet sich in einer komplizierten Lage: Es bemüht sich einerseits darum, konstruktive Handelsbeziehungen beizubehalten und sieht sich andererseits dem innenpolitischen Druck ausgesetzt, seine Industrie vor der chinesischen Konkurrenz zu schützen. Die Handelsstreitigkeiten mit China, bei denen zunächst der Stahlsektor im Mittelpunkt stand, haben sich nun auf den Automobilsektor ausgeweitet, in dem die EU Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge verhängt hat.
Das Wachstum des Welthandels hat sich infolgedessen verlangsamt (siehe Abbildung 1). Der zunehmende Protektionismus und die bereits erwähnten Handelsspannungen haben die Handelsströme beeinträchtigt. Auch strukturelle Veränderungen waren dafür verantwortlich, unter anderem die zunehmende Komplexität der globalen Lieferketten und der Übergang zu einer dienstleistungsorientierteren Wirtschaft. Die COVID-19-Pandemie verschärfte diese Trends noch, da sie Produktion und Logistik erheblich beeinflusste.
Abbildung 1 | Entwicklung des weltweiten Exportwerts im Warenhandel (in Mrd. USD)
Quelle: Statista, 2024
Die Handelsstreitigkeiten haben bereits unmittelbaren Einfluss auf die Verbrauchermärkte, wobei der bereits erwähnte Automobilmarkt ein gutes Beispiel darstellt. In der ersten Jahreshälfte 2024 erreichte das Umsatzvolumen chinesischer Marken auf dem heimischen Markt 5,6 Millionen Fahrzeuge. Dies entspricht im Jahresvergleich einem Anstieg von 17,8 % und einem Marktanteil von 56 %. Deutsche (-6,2 %), japanische (-12,4 %), US- (-19,2 %) und französische (-19,1 %) Marken verloren dagegen allesamt2.
Die meisten Schlagzeilen über Handelsstreitigkeiten betreffen derzeit strategische Branchen, darunter Technologie und Halbleiter sowie selbstverständlich Luft- und Raumfahrt und Verteidigung, doch im Endeffekt könnte jeder Sektor und jedes Verbrauchersegment betroffen sein.
Beeinträchtigung als Chance
Aus der Anlageperspektive verändert sich das Konsumumfeld erheblich, da bestehende Marken ihre Geschäftsmodelle umstellen. Kleinere, einheimische Marken nutzen daher die Gelegenheit, ihre unflexiblere weltweite Konkurrenz herauszufordern. Zudem erhöht der zunehmende Protektionismus die Attraktivität lokaler Marken, da er ein Gefühl des Nationalstolzes fördert. Wenn Regierungen auf Zölle und Handelshemmnisse setzen, fördern sie häufig lokale Produkte, um die heimische Industrie zu unterstützen und Arbeitsplätze zu sichern. Somit ziehen es mehr Menschen vor, im eigenen Land hergestellte Produkte zu erwerben. Diese Veränderung kurbelt nicht nur die lokale Wirtschaft an, sondern stärkt auch die Markentreue der einheimischen Verbraucherschaft.
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Einheimische Marken fordern ihre unflexiblere weltweite Konkurrenz heraus
In den vergangenen zehn Jahren hat der Marktanteil lokaler Marken im Vergleich zu globalen Marken stetig zugenommen, da die lokalen Alternativen in Bezug auf das Wachstum die globalen Marken stets übertroffen haben und sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher für sie entscheiden. Lokale (und regionale) Marken weisen inzwischen einen Anteil von zwei Dritteln (66 %) an den Marken in unseren Warenkörben auf, während globale Marken nur noch ein Drittel (34 %) bei der Markenauswahl ausmachen3. Dieser Trend ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, unter anderem auf die wachsende Vorliebe für Produkte, die mit der lokalen Kultur und den lokalen Werten in Einklang stehen, sowie auf die Fähigkeit lokaler Marken, sich schneller an geänderte Verbraucherbedürfnisse anzupassen. Der Aufschwung des elektronischen Handelsverkehrs hat lokalen Marken zudem die Chance geboten, wirksamer ein breiteres Publikum zu erreichen. Der Schweizer Aromen- und Duftstoffhersteller Givaudan berichtete, dass globale Unternehmen im Konsumgüterbereich in der ersten Jahreshälfte 2024 ein Volumenwachstum von rund 4 % für Givaudan bewirkten, während es bei lokalen und regionalen Kunden ein Volumenwachstum von rund 12 % waren.
Im Rahmen unserer Strategie Global Consumer Trends sehen wir das Aufkommen dieser lokalen Marken als Teil des „Aufstiegs der Mittelschicht“, einem der drei langfristigen Trends, die unsere Strategie neben „Digitale Transformation des Konsums“ und „Gesundheit und Wohlergehen“ leiten. Der steigende Wohlstand sorgt in den Schwellenländern für ein starkes Wachstum der lokalen Konsumausgaben, während der geopolitische Druck und die Risiken in der Lieferkette die lokalen Konsumausgaben für lokale Marken in den Industrieländern erhöhen.
Was bedeutet das für unsere Strategie?
In den vergangenen 12 Monaten haben wir uns von unseren Positionen in bekannten globalen Verbrauchermarken wie Nike und Starbucks getrennt. Nike hat Mühe, sich gegen kleinere, wendigere Konkurrenz wie Hoka und On Holdings zu wehren, die einen raschen Aufstieg hinter sich, und Marktanteile auf dem Sportschuhmarkt erobert haben. Hoka, das sich im Besitz der börsennotierten Deckers Outdoor Corporation befindet, konnte sein Kerngeschäft in den USA durch innovatives Produktdesign, gezielte Marketingstrategien und die Ausweitung seines Publikums über die Sportgemeinde hinaus ausbauen, indem es Komfort hervorhebt. Das in der Schweiz ansässige Unternehmen On Holdings hat sich eine Nische geschaffen, indem es mit hochwertigen, innovativen Produkten sowohl im Leistungssport als auch bei wohlhabendem Publikum Anklang findet. On hat hochkarätige Werbepartnerschaften, unter anderem eine Kooperation mit Roger Federer, genutzt, um den Bekanntheitsgrad der Marke zu steigern.
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Der geopolitische Druck und die Risiken in der Lieferkette erhöhen die Konsumausgaben für lokale Marken
Verbrauchertrends
Die Vorlieben der Verbraucher ändern sich, Ihr Portfolio sollte es auch
Erfahren Sie mehr Alle Themen anzeigenAuch Starbucks hat Schwierigkeiten, die vor allem mit dem Erlebnis vor Ort und dem Zuwachs bei mobilen Bestellungen zusammenhängen. Das mobile Bestellsystem des Unternehmens hat betriebliche Engpässe verursacht. Die Barista sind mit der Menge und Komplexität der mobilen Bestellungen oft überfordert, was zu längeren Wartezeiten und überfüllten Theken geführt hat. Die Konzentration auf Bequemlichkeit durch mobile Bestellungen hat außerdem dazu geführt, dass sich das Kundenerlebnis von einem gemütlichen Besuch eher zu einer Transaktion verlagert hat. Diese Veränderung hat einige Kunden verprellt, die das traditionelle Erlebnis, also das Ambiente und den persönlichen Kontakt im Laden, schätzten.
Abbildung 2 | Die Aktien einiger großer verbraucherorientierter Konzerne sind deutlich hinter dem Markt zurückgeblieben
Quelle: Bloomberg
Beispiele für Unternehmen mit Lokalisierungsstrategien sind der Modeeinzelhändler Inditex und die Restaurantkette Chipotle Mexican Grill, die in den USA mexikanische Restaurants betreibt. Chipotle hat große Fortschritte bei der lokalen Beschaffung erzielt5 und bezog im Jahr 2023 40 Millionen Pfund seiner Produkte aus der Region, was einem Anstieg von 29 % seit 2020 entspricht und 11 % der gesamten Produktversorgung ausmacht6. Zudem stärkt Chipotle mit seinen Investitionen in lokale Beschaffungsplattformen wie Local Line sein Engagement für die Unterstützung regionaler Lebensmittelsysteme.
Der spanische Konzern Inditex, die Muttergesellschaft von Marken wie Zara, ist durch ein Fast-Fashion-Modell gewachsen, mit dem versucht wird, die globale Konkurrenz auszustechen. Um die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit seiner Lieferkette zu erhalten, setzt das Unternehmen auf ein Geschäftsmodell, das auf die Beschaffung in der Nähe setzt. Bei diesem Modell wird ein großer Teil der Produkte in Regionen in der Nähe des Hauptsitzes und der Logistikzentren in Spanien hergestellt. Da die Produktion in der Nähe verbleibt, kann sich Inditex nach eigenen Angaben schnell an wechselnde Modetrends und Verbraucherwünsche anpassen, die Vorlaufzeiten verkürzen und überschüssige Lagerbestände minimieren.
Inditex behauptet, dass es dank seiner Beschaffung in der Nähe einen Wettbewerbsvorteil genießt – etwa 65 % der Aufträge aus der Produktion werden aus Spanien, Portugal, der Türkei oder Nordmarokko bezogen. Dies bedeutet nicht nur, dass Inditex geringere Lagerbestände und weniger Produktverluste zu verzeichnen hat, sondern es hilft Inditex auch, seinen CO2-Fußabdruck zu verkleinern, da diese Länder stärker regulierte Textilmärkte mit strengeren Umweltstandards haben als die traditionellen Zentren der Modeproduktion in Asien. Die Senkung der CO2-Emissionen könnte der Rentabilität von Inditex zugute kommen, da die Energiekosten geringer ausfallen. Es besteht daher das Potenzial, das Umsatzwachstum anzukurbeln, wenn sich die Verbraucher dazu entschließen, mehr Geld für Produkte auszugeben, die auf nachhaltigere Weise hergestellt oder beschafft wurden.
Fazit
Zunehmende geo- und handelspolitische Spannungen treiben die Lokalisierung maßgeblich voran, da sie dafür sorgen, dass Offshore-Lieferketten teurer und komplexer werden, wobei Marketinginnovationen und veränderte Verbraucherpräferenzen ebenfalls dazu beitragen. Wir sind der Ansicht, dass sich dadurch das Umfeld für Anleger erheblich verändert, da neue Marktteilnehmer in verschiedenen Regionen potenzielle Chancen zur Alpha-Generierung schaffen.
Die Auswirkungen der Lokalisierung waren in den wichtigsten Verbraucherkategorien bisher dezent und ungleichmäßig, aber wir sind der Ansicht, dass lokale Marken (vorzugsweise mit lokaler Beschaffung) ein größeres Potenzial bergen, im nächsten Jahrzehnt zu wachsen und besser abzuschneiden, da die Latenzzeit im internationalen Handel zunimmt. Wir sehen Chancen in vielen Verbrauchersegmenten, aber wir beobachten auch private Unternehmen, die lokale Wettbewerber besitzen, die in Zukunft an die Börse gehen könnten.
Fußnoten
[1] Rising challenges for foreign firms in China – Hinrich Foundation – September 2024
[2] Meistverkaufte Fahrzeugmarken in China, erste Jahreshälfte 2024 – CarNewsChina.com – Juli 2024
[3] Kantar: Global Brand Footprint 2020
[4] Die in diesem Abschnitt genannten Unternehmen sind Beispiele, die nur der Veranschaulichung dienen. Die Strategie Global Consumer Trends von Robeco ist nicht unbedingt in die aufgeführten Unternehmen investiert, noch sollten diese Referenzen als Empfehlungen zum Kauf, Verkauf oder Halten der Aktien eines der gelisteten Unternehmen betrachtet werden.
[5] Chipotle definiert „lokale Produkte“ als Zutaten, die im Umkreis von 350 Meilen (rund 560 km) um eines seiner Vertriebszentren angebaut werden.
[6] Nachhaltigkeitsbericht 2023 von Chipotle