Quantitative Aktienstrategien durchliefen 2018 bis 2020 eine schwierige Zeit, die wir bei Robeco den „Quant-Winter“ nennen. Doch auf jeden Winter folgt der Frühling, und so erlebten die Aktienfaktoren in den letzten beiden Jahren eine kräftige Erholung. Dies ist für viele Anleger sicherlich eine gute Nachricht, doch fragen sich einige nun, wie es um die weiteren Aussichten steht.
Wir sehen verschiedene Gründe dafür, dass Faktor-Investing für langfristige Anleger an die in der Vergangenheit erzielten Erfolge anknüpfen wird. Ein bekanntes Sprichwort, das Mark Twain zugeschrieben wird, lautet: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“. Daher lohnt sich ein Blick auf Abbildung 1, die die langfristigen Prämien von Aktienfaktoren in den Industrie- als auch in den Schwellenländern über mehrere Jahrzehnte darstellt.
Abbildung 1 | Aktienfaktoren generieren historisch solide langfristige Prämien
Quelle: Robeco. CAPM-Alpha der einzelnen Faktorprämien und einer Kombination aus verschiedenen Faktoren im Vergleich zum MSCI World Developed Markets Index und zum MSCI Emerging Markets Index. Betrachtungszeitraum: Januar 1986 oder 1996 bis Dezember 2021.
Guido Baltussen und Kollegen hatten in einer Studie den Blick noch weiter in die Vergangenheit geworfen, die sie in einem bahnbrechenden Forschungspapier veröffentlichten. Diese kam zu dem Ergebnis, dass Aktienfaktoren dauerhafte Phänomene sind.1 Die Forscher hatten für ihre Studie eine neuartige Datenbank für US-Aktien aufgebaut, die sich auf den Zeitraum von 1866 bis 1926 (vor der Datenerhebung durch das CSRP) erstreckte und alle wirtschaftlich erheblichen und statistisch signifikanten Prämien sowie CAPM-Alphas für die Faktoren Value, Momentum und Low-Risk erfasste.
Die Jahre 1927 bis 2019 stellen den allgemein üblichen Stichprobenzeitraum dar, der in hunderten akademischen Studien im Stil der „Fama-French-Methode“ untersucht wurde. Diese Studien stellten ebenfalls statistisch signifikante Prämien für dieselbe Gruppe von Faktoren fest. Daran zeigt sich, dass Faktorprämien „ewige“ Merkmale der Finanzmärkte darstellen und es überzeugende Argumente für eine langfristige Allokation in Aktienfaktoren gibt.
Um die langfristigen Potenziale von Factor-Investing zu nutzen, braucht es eine ruhige Hand
Wie alle Geldanlagen jedweder Form ist auch Factor-Investing nicht ohne Risiken. Während Aktienfaktoren langfristig solide Prämien generieren, durchlaufen sie kurzfristige Bullen- und Bärenphasen (wie in unserem Beitrag Robeco quant cycle research beschrieben). 2 Unsere Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass derartige Verluste bei Multifaktor-Strategien üblicherweise durch Growth-Rallies oder Value-Crashes verursacht wurden, die mehrere Jahre andauern können (Abbildung 2).
Abbildung 2 | Multifaktor-Strategien können kurzfristigen Risiken ausgesetzt sein
Quelle: Robeco. Dargestellt sind marktbezogene Drawdowns für Multifaktor-Strategien in den Industrie- und Schwellenländern. Betrachtungszeitraum: Januar 1986 oder 1996 bis Dezember 2021.
Der Quant-Winter 2018-20203 ist ein gutes Beispiel, das dieses Risiko verdeutlicht und uns noch frisch in Erinnerung ist. Wenn wir heute an diese schwierigen Jahre zurückdenken, erinnern wir uns vor allem an das Stimmungstief gegenüber Aktienfaktoren, insbesondere gegenüber Low-Risk und Value. Doch solche herausfordernden Phasen machen nur deutlich, dass Anleger auch in jenen Phasen „eine ruhige Hand“4 bewahren sollten, in denen ihre Investments unterdurchschnittlich abschneiden, um von den langfristigen Potenzialen faktorbasierter Strategien zu profitieren.
Bekanntlich ist man „hinterher immer schlauer“. Tatsächlich erlebten Aktienfaktoren in den letzten zwei Jahren eine kräftige Erholung – der Quant-Winter ist also überstanden. Wir bei Robeco glauben daher, dass es beim Quant-Investing zwar auch auf Intelligenz, vor allem aber auf einen festen Charakter ankommt. Auf der Grundlage unserer Erkenntnisse über Quant-Zyklen scheinen wir wieder in eine „normale“ Phase übergegangen zu sein, in der sich Aktienfaktoren tendenziell gut entwickeln.
Faktoren sind im historischen Vergleich günstig bewertet
Aus fundamentaler Sicht wird unser optimistischer Ausblick für Aktienfaktoren durch die aktuell günstigen Bewertungen untermauert. Unserer Erfahrung nach können verschiedene Verhaltensmuster, die Anleger zuweilen zu euphorisch handeln oder zu schwarzsehen lassen (Animal Spirits), dazu führen, dass Aktienfaktoren im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt entweder teuer oder billig gehandelt werden. Allerdings kehren Bewertungen tendenziell langfristig zu ihrem Mittelwert zurück (Mean Reversion), und ihre Veränderungen sind für die kurzfristigen Faktorrenditen von Bedeutung.
Value, Momentum, Quality und Low-Risk sowie eine Multifaktor-Kombination werden derzeit auf attraktiven Niveaus gehandelt (Tabelle 1). Vor diesem Hintergrund glauben wir, dass die Aussichten für Aktienfaktoren mittel- bis langfristig gut sind. Denn niedrige Bewertungen lassen üblicherweise steigende Renditen erwarten.
Tabelle 1 | Faktoren sind im historischen Vergleich attraktiv bewertet
Quelle: Robeco, Refinitiv, Bloomberg. Die Tabelle zeigt den aktuellen Spread und die Perzentile der aktuellen im Vergleich zu den historischen zusammengesetzten Bewertungs-Spreads für die Faktoren Value, Momentum, Quality und Low-Risk. Das Anlageuniversum besteht aus Bestandteilen der MSCI-Indizes für die Schwellen- und die Industrieländer12. Der Stichprobenzeitraum erstreckt sich von Januar 1986 bis Juni 2022.
Die schwierigen Makroaussichten mit rückläufigem Wachstum und steigendem Inflations- und Zinsniveau machen die Sache jedoch komplizierter.
Faktorprämien entwickeln sich in verschiedenen Inflationsszenarien robust
Angesichts der aktuell untypisch hohen Inflation (zumindest im Vergleich zur Inflation in den letzten 30 Jahren) haben wir die historische Wirksamkeit bewährter Aktienfaktoren unter verschiedenen Inflationsbedingungen in einem aktuellen Papier untersucht.5 Da Phasen mit hoher Inflation und Deflation in der jüngeren Geschichte relativ selten waren, haben wir eine umfassende Stichprobe verwendet, die sich auf den Zeitraum 1875 bis 2021 erstreckt.
Interessanterweise haben wir festgestellt, dass sich die Prämien von Aktienfaktoren – anders als die Prämien von Aktien als Anlageklasse – insgesamt in verschiedenen Inflationsumfeldern konsistent entwickelt haben. So zeigt beispielsweise Abbildung 3, dass das Long-Short-Multifaktor-Aktienportfolio über alle Szenarien hinweg eine recht stabile Performance erzielt. Betrachtet man die langfristigen Faktoren einzeln, so stellt man in den verschiedenen Inflationsumfeldern indessen etwas stärkere Renditeschwankungen fest – jedoch nie eine Rendite, die übermäßig von den langfristigen Durchschnittswerten abweicht.
Abbildung 3 | Aktienfaktorprämien in verschiedenen Inflationsumfeldern
Quelle: Robeco. Dargestellt sind marktbezogene Drawdowns für Multifaktor-Strategien in den Industrie- und Schwellenländern. Betrachtungszeitraum: Januar 1986 oder 1996 bis Dezember 2021.
Auch wenn Long-only-Faktoren keineswegs immun gegen eine hohe Inflation sind, deuten unsere Ergebnisse doch darauf hin, dass sie im Durchschnitt weniger empfindlich darauf reagieren als die traditionelle Aktien-Anlageklasse.
Faktoren reagieren nicht übermäßig empfindlich auf Zinsänderungen
Zudem haben wir die Beziehung zwischen Faktorrenditen und Zinsbewegungen untersucht in zwei Robeco-Studien von 2021 und 2022.6 Wir kamen zu dem Ergebnis, dass der Value-Faktor in Monaten, in denen die Anleiherenditen in den vorhergehenden zehn Jahren gestiegen waren, tendenziell besser abgeschnitten hat. Dieser Zusammenhang ist allerdings sehr dynamisch, weil der Value-Faktor bis 2015 keine signifikante Beziehung zu Veränderungen der Anleiherenditen aufwies, während erst in den letzten Jahren ein signifikanter Zusammenhang festzustellen war.
Der Low-Risk-Faktor wies eine negative Beziehung auf, die allerdings nur geringfügig war. Die Beziehung war aber nicht über den gesamten Stichprobenzeitraum einheitlich, weil sie im Umfeld des Jahres 2000 weitgehend nicht zu beobachten war. Momentum wies über den gesamten Stichprobenzeitraum hinweg eine negative Beziehung zu Renditeänderungen auf. Aber ähnlich wie bei Value scheint sich der Effekt vorwiegend auf die letzten Jahre der Stichprobe zu konzentrieren. Und abschließend wiesen die Renditen von Quality über den gesamten Zeitraum hinweg keinen Zusammenhang mit Renditeänderungen auf.
Unserer Ansicht nach bietet die Einrichtung von Positionen in mehreren Faktoren in einem Portfolio daher eine Diversifizierung nicht nur der einzelnen Faktor- und Aktienrisiken, sondern auch der Faktor-Sensitivitäten gegenüber Renditebewegungen, weil diese deutlich zwischen Faktoren und im Zeitverlauf variieren.
Fazit
Insgesamt bieten Multi-Faktor-Strategien unseres Erachtens für Aktienanleger attraktive Renditepotenziale. Aus fundamentaler Sicht sind die Aktienfaktoren zurzeit attraktiv bewertet, was langfristig hohe Renditen erwarten lässt. Faktorprämien haben sich zudem in der Vergangenheit in Zeiten mit hoher Inflation und steigenden Zinsen bewährt. Wir glauben, dass die Kombination aus den erläuterten Faktoren ein überzeugendes Argument für Multifaktor-Strategien darstellt.
Footnotes
1G. Baltussen, B. Van Vliet und P. Van Vliet „The cross-section of stock returns before 1926 (and beyond)“, SSRN-Arbeitspapier, November 2021.
2D. Blitz, „The quant cycle“, in: Journal of Portfolio Management, Januar 2022.
3 D. Blitz, „The quant crisis of 2018-2020: cornered by big growth“, in: Journal of Portfolio Management, Mai 2021.
4P. Van Vliet, „Strong hands – bridging the behavioral gap“, Robeco-Artikel, November 2017.
5G. Baltussen, L. Swinkels, B. Van Vliet und P. Van Vliet, „Investing in deflation, inflation, and stagflation regimes“, SSRN-Arbeitspapier, Juni 2022.
6G. Baltussen, M. X. Hanauer, S. Schneider und L. Swinkels, „ What valuations and interest rates tell us about equity factors“, Artikel von Robeco, September 2021; und M. X. Hanauer, G. Baltussen, D. Blitz und S. Schneider, „Short-sightedness, rates moves and a potential boost for Value“, Artikel von Robeco, November 2022.